Ich hätte es wissen müssen, als ich in dieser erbarmungswürdigen Hülle zur Welt kam. Aber ich hatte ja gehofft. Gehofft, es sei nur ein schlechter Scherz. Vielleicht eine Welpentauschaktion im Himmel. Versehentlich falsch etikettiert. Kann ja mal passieren. Aber nein. Ich war ein Yorki. Und nicht irgendeiner – nein, ein Mini-Yorki aus einem L-Wurf.
L wie… lächerlich.
L wie… leichtgewichtig.
L wie… lass mich bitte zurück ins letzte Leben!
Die anderen Welpen quietschten, stolperten, kämpften wie nasse Wattebäusche. Ich hingegen… ich wollte raufen. Richtig. Mit Schwung. Mit Körpereinsatz. Wie es sich gehört für einen stolzen Gos. Also warf ich mich auf den größten aus dem Wurf. Der ja kaum größer war als eine Fernbedienung. Ich landete auf ihm, nahm ihn in den Nacken – und bekam sofort eine auf den Deckel. Von meiner Mutter. Und von der Züchterin. „Unser kleiner Draufgänger“, sagte sie lachend. Kleiner Draufgänger?! Ich bin ein verdammter Gebirgshirtenhund! Ich war geboren, um Schafe zu ordnen, Wölfe zu vertreiben, Wildschweine umzulenken! Und jetzt muss ich aufpassen, dass mich kein Greifvogel mitnimmt, wenn ich draußen pieseln gehe? Immerhin durfte ich mit in den Garten. Zweimal am Tag, fünf Minuten, mit Aufsicht. Ich versuchte jedes Mal, das Grundstück zu markieren – am liebsten strategisch an allen vier Ecken. Ich war ja schließlich noch jemand. Oder wenigstens… gewesen.
Dann kamen die Besucher. Schrecklich. Meine größte Sorge, war dass mich jemand anderes meinem Frauchen vor der Nase wegschnappte! Ich entwickelte daher eine Strategie. Keine einfache, wohlgemerkt – es war ein Drahtseilakt zwischen unvermittelbar und unauffällig. Bei Männern durfte ich auf keinen Fall wild wirken - sie lieben das Gefühl den schlimmsten Haudegen aus einem Wurf erwischt zu haben. Was sie überhaupt nicht leiden können, ist der Typ „Energiebündel mit Trainingsrückstand“ – einer, der jeden Spaziergang zur sportlichen Herausforderung macht. Und wenn’s sein muss, dann eben so lange auf dem Schoß zappeln, bis der Mann die Augen verdreht und sagt: „Nee. Der ist mir zu nervös.“ Ziel erreicht.
Bei Frauen war es schwieriger. Die waren oft gefährlich schnell begeistert. Ein einziger schiefer Blick, ein stiller Seufzer – und schon hieß es: „Der ist ja soooo sensibel!“ Und zack – warst du mit einem Fuß im neuen Leben. Also entwickelte ich meine beste Taktik: Ich verkroch mich. Sofa. Hinterste Ecke. Immer wenn es klingelte. Die anderen stürmten los wie ferngesteuert, sprangen an Beinen hoch, fiepten, warfen sich in Pose. Ich war weg. Hielt den Atem an, duckte mich in den Polsterschatten und hoffte, dass niemand die Ohren zählte. Denn wenn jemand die Ohren zählte, war’s vorbei. Meine hingen nämlich. Gos-like. Sehr un-Yorki.
Ich hörte, wie draußen diese Stimmen sich überschlagen: „Oh, schau mal – DER da! Der ist ja…“ Und ich betete innerlich: Bitte nicht ich. Bitte nicht ich. Ich bin gar nicht da. Ich bin ein Sofakissen. Ein Fussel. Ein Schatten. Ich hatte schließlich eine Mission. Ich wartete auf sie. Denn ich wusste: Die Einzige, die mich wirklich erkennen würde, suchte noch. Nicht den lautesten. Nicht den zutraulichsten. Sondern den, der in der hintersten Sofaecke lag und trotzdem aus den Augen schaute wie ein Riese im Wartestand. Und ich war sicher, dass sie kommen würde. Nicht weil ich daran glaubte – sondern weil ich es fühlte. Da war dieses leise Ziehen in meiner Mitte, ein Wissen ohne Beweis. So wie ein Vogel weiß, wohin er fliegt. So wie man weiß, wann jemand fehlt, ohne hinzuschauen. Ich hatte sie nicht vergessen. Und sie mich auch nicht. Selbst wenn sie es selbst noch nicht wusste. Das Band war nicht zerschnitten, nur ein bisschen verheddert. Und ich würde warten. So lange es eben dauerte.
Es gab einige brenzlige Momente. Situationen, in denen ich beinahe genommen worden wäre. Beinahe – das ist gefährlich. Beinahe ist ein Wimpernschlag vom Ernstfall entfernt.
Das Teenie-Mädchen mit dem Instagram-Lächeln
Sie betrat den Raum, und ich wusste: Jetzt wird’s eng. „Der ist soooo süüüüß!!!“ quietschte sie. Ich wurde hochgehoben. Vor’s Gesicht gehalten. Frontalkamera gezückt. „Duckface mit Yorki“, dachte ich resigniert. Ich setzte mein grimmigstes Gesicht auf. So grimmig, wie man eben gucken kann, wenn man aussieht wie ein Plüschkoala auf Diät. Sie flüsterte: „Oh mein Gott – er schaut so intelligent!“ Ich bekam Panik. Zog die Lefzen ein winziges Stück hoch – so viel, dass es unangenehm wirkt, aber nicht gefährlich aussieht. Sie lachte. „Der hat Charakter!“ Ich fing an, mit den Vorderpfoten in die Luft zu greifen, als hätte ich einen imaginären Feind im Nacken. Sie wich zurück. „Vielleicht doch ein bisschen... speziell. “Speziell?! Ich hätte sie fast umarmt vor Dankbarkeit.
Die Duftkerzenfrau
Sie kam barfuß. In einem wallenden Kleid. Lavendelduft zog ihr voraus wie eine Vorahnung. „Ich suche eine kleine Hundeseele“, säuselte sie, „die mit mir schwingt. Energetisch. Auf Herzebene.“ Ich wusste sofort: Ich bin verloren. Oder schlimmer – ich werde adoptiert.
Sie setzte sich mitten auf den Wohnzimmerteppich, schlug die Beine im Lotussitz übereinander und machte „Om“. Ich versuchte, unter dem Sofa zu verschwinden, aber mein Plüschhintern blieb hängen. Sie griff nach mir, hob mich hoch – und drückte mich mit voller Kraft gegen ihren Brustkorb. „Er öffnet sich“, hauchte sie. Ich öffnete gar nichts. Ich wurde gerade zerquetscht. Ihr nächstes Highlight: Klangschalen. „Mal sehen, wie er reagiert.“ Ich sag mal so: Ich bin ein Gos. Ich reagiere auf Schafe. Nicht auf Klang. Ich hab gepupst. Lautlos, aber nachdrücklich. Sie sprach von „Blockaden lösen“. Ich nenne es: Fluchtmittel. Zum Glück fragte sie dann, ob es „auch einen mit mehr Yin“ gäbe. Ich habe nie zuvor jemanden so still gefeiert wie in diesem Moment.
Die Glamour-Oma mit Rollköfferchen
Sie trug rosa Lippenstift, eine Pelzimitatjacke und ein glitzerndes Rollköfferchen. „Ich will einen kleinen Hund fürs Herz. Zum Einkuscheln.“ Ich bin kein Kuschelhund. Ich bin ein Arbeitshund. Nur halt gerade… in der kleinen Variante. Sie beugte sich zu mir runter, schnupperte – ich schwöre, sie schnupperte – und sagte: „Riecht noch sehr nach Hund.“ Ich war beleidigt. Ich hatte heute nur zwei Regenwürmer und ein Stück Käfer gegessen. Manche würden das als gepflegte Ernährung bezeichnen. Dann fragte sie, ob ich stubenrein sei. Ich antwortete. Direkt. Zielsicher. Auf ihre Schuhe. Ein schöner Moment. Für mich. Nicht für sie. Sie rief empört: „Also wirklich! Dieser Hund ist … respektlos!“ Endlich sagt es mal jemand mit Respekt. Züchterin: panisch. Ich: gerettet. Die Schuhe? Unklar.
Ich sag’s dir: Manchmal war es knapp. Aber ich blieb wachsam. Ich hatte ein Ziel. Ich wartete auf sie. Auf mein Frauchen. Und als sie kam, wusste ich: Jetzt nur nicht übertreiben.
„Ach Gott, sind die winzig…“, sagte sie leise. Ihre Stimme. Etwas kratziger vielleicht. Aber noch immer vertraut. Ich hörte sie bis ins Knochenmark – oder was davon übrig war in diesem Körper aus Zuckerwatte. Die Züchterin lächelte. „Ja, Yorki-Zwerge halt. Sie sind jetzt acht Wochen. Wuselig, aber goldig.“ Ich war nicht goldig. Ich war ein Wolf im Glitzerpelz. Frauchen – also die Frau – kniete sich langsam hin. Ihre Bewegungen vorsichtig, fast zögerlich, als wolle sie sich selbst nicht zu nahe treten. Ich sah, wie ihr Blick über die Welpen wanderte. Von einem zum anderen. Ich versteckte mich halb hinter dem Quietschetier. Man will ja nicht aufdringlich sein. Dann traf mich ihr Blick. Und es passierte etwas. Ein Hauch. Ein Zucken in den Augenwinkeln. Ein Flimmern, kaum sichtbar. Aber ich sah es. Sie auch. Nur: Sie verstand es nicht. Noch nicht.
„Der kleine Rüde ist ein bisschen speziell“, sagte die Züchterin. „Zieht sich oft zurück. Beobachtet viel. Bellt nicht wie die anderen. Er will alles im Griff haben. Ein kleiner Kontrollfreak.“ Ich schwöre, ich hab fast gegrinst. „Wie heißt er?“, fragte sie, ohne die Augen von mir zu nehmen. „Die Welpen haben noch keinen Namen“, sagte die Züchterin. „Aber ich sag immer: Unser kleiner Chef. Weil er immer so tut, als wäre er einer.“ Sie schwieg. Dann setzte sie sich ganz auf den Boden, zog die Knie an und sah mich an. Ich sah zurück. Und da war sie. Diese Verbindung. Noch nicht benennbar. Noch nicht greifbar. Aber da. Ich spürte es. Sie auch. Nur verstand sie es falsch. Du erinnerst mich an jemanden“, flüsterte sie. Und ich dachte: Ich weiß.
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Wie es weitergeht? Mit einem Trinknapf in der Größe einer Pfütze, einem Sofa in unerreichbarer Höhe –
und einem Wölkchen, das irgendwie… geschrumpft ist. Willkommen zurück im alten Zuhause, Louis. Oder wie ich es nenne: Mission Würde 2.0.
2 Kommentare
Herrlich, ich liebe deine Art zu Schreiben 😍
AntwortenLöschenDas ist ein schönes Kompliment - Dankeschön!!! Liebe Grüße Bine
LöschenVielen lieben Dank für deinen Kommentar! Wir freuen uns immer riesig über Rückmeldungen.
Liebe Grüße
Bine & Gubacca