1128. bis 1138. Tag | Der Gos und sein Charakter: Von 0 auf 300

Juni 19, 2020

Es gibt Themen um die schleiche ich lange Zeit herum. Hierzu gehört der schon lange geplante Blogbeitrag über den Charakter des Gos d'Atura Català. Warum? Auf der einen Seite finde ich den Beitrag sehr wichtig, weil es im Internet so wenige Erfahrungsberichte über die Rasse gibt. Andererseits frage ich mich aber auch, ob es nicht anmaßend von mir ist eine allgemeine Charakterbeschreibung über den Gos zu schreiben. Gubacca ist mein erster Katalane und seine Eigenschaften müssen ja nicht die komplette Rasse widerspiegeln. Ich werde es aber trotzdem wagen und hoffe vielen Menschen so die Rasse ein bisschen "greifbarer" zu machen.




Wie kam Bine zu einem Gos? Ich würde jetzt gerne schreiben, weil ich mich in das Wesen und die Eigenheiten der Rasse verliebt habe und genau wusste, was auf mich zu kommt. Genau das Gegenteil war der Fall und ich war eigentlich der klassische Welpen-Interessent, den sich ein Züchter nicht wünscht:  Ich verliebte mich in das Äußere der Rasse und wollte unbedingt einen hellen Welpen, der meinen Tibet Terrier Chiru ähnelte. Im zweiten Schritt muss ich aber zu meiner Ehrenrettung sofort nachschieben, habe ich intensiv versucht mich über den  Katalanischen Schäferhund und seinem Wesen zu informieren. Leider keine leichtes Unterfangen, da es im Internet nur wenig über die Rasse gibt. Die Charakterbeschreibungen, die man auf vielen Seiten findet, ähneln sich sehr und sind oft sehr allgemein gehalten. Dort wird der "Gos" als typischer Hütehund beschrieben. Eine Rasse die noch sehr ursprünglich in ihrem Wesen ist und deren Selektion in der Zucht nicht nach Optik, sondern vielmehr nach  den unterschiedlichen Ansprüchen ihrer Arbeitsaufgaben stattfand. Ein sehr sensibler Hund, der eine konsequente aber liebevolle Erziehung benötigt. Dafür bringt er viele tolle Eigenschaften mit und er wird als anhänglich, treu und mit einer gehörigen Portion "will to please" charakterisiert. Aber es gibt auch die vorsichtigen Warnungen auf den Seiten, dass der Gos kein unauffälliger Kuschelhund ist und man sich mit seinem Wesen auseinander setzen muss. Eine Rasse die nur bedingt für Anfänger geeignet und in der Erziehung nicht so ganz einfach ist.

Ich muss gestehen, mich haben diese Beschreibungen im Internet sehr verunsichert. Was bedeutet es, wenn mein zukünftiger Welpe noch sehr ursprünglich in seinem Wesen ist? Wie ernst ist der kleine "Warnhinweis" zu nehmen, dass der Gos kein Anfängerhund ist und man sich mit seinem Wesen auseinander setzen muss?  Wie passen die Eigenschaften "selbständiger Hütehund" und "sensibel" zusammen? Für mich war ein sensibler Hund immer einer, den ich mit Samthandschuhen anfassen muss. Eine vollkommene Fehlinterpretation des Begriffs wie ich bei Gubacca schnell lernen konnte.




"Eine Rasse die noch sehr ursprünglich in ihrem Wesen ist." In dem kurzen, harmlosen Satz, der fast auf jeder Züchterseite zu finden ist, verbergen sich bereits  typische Eigenschaften vom Gos. Um den Gos und sein Wesen zu verstehen, muss man sich auch mit seiner Herkunft beschäftigen.  Wer den Artikel dazu von mir noch nicht kennt, kann ihn hier nachlesen: Rasseportrait Gos d Atura Catala #Herkunft. Was bedeutet "ursprünglich in ihrem Wesen"?  Die Katalanen die heute in Deutschland leben, haben noch die typischen Wesensmerkmale der Arbeitshunde in Spanien. Diese sind unterschiedlich ausgeprägt und vielseitig, weil sie auch mit der Arbeit des Hundes zusammen hängen. Ein Gos der täglich eine Herde von 600 bis 700 Schafen selbständig bewacht, benötigt zum Beispiel andere Fähigkeiten wie der Hund, der die Kühe des Bauern zur Weide begleitet. Bei ihm ist Ausdauer und ein hoher Energielevel sicherlich ein Selektionsmerkmal. Wobei wir bei dem "hohen Energielevel" auch schon bei einer der wie ich finde typischen Gos-Eigenschaften sind. 


"Ich habe keinen Ferrari, ich habe einen Gos!"


"Von 0 auf 300 in wenigen Zehntelsekunden - kein Problem!" Fast jeder der einen Gos hat, weiß, damit ist kein Ferrari, sondern der schnittige Spanier gemeint. Es bedarf kein "warm werden" oder ein "ich muss mich erst einmal orientieren" - Gubacca und sehr viele Gossis sind sofort vom Ruhemodus 0 auf 300,  um vermeintliche Gefahren oder Angriffe abzuwehren. Dumm nur, dass häufig die katalanische Wahrnehmung von "Gefahr in Verzug"  sehr von der Einschätzung von Frauchen oder Herrchen abweicht. In unserem Alltag macht sich diese Eigenschaft bei Gubacca häufig dadurch bemerkbar, dass er blitzschnell auf Außenreize reagiert. Während unser Lottchen zum Beispiel noch überlegen würde, ob es sich lohnt die Verfolgung des Radfahrers aufzunehmen, wäre Gubacca bereits bei ihm angekommen. Aber auch bei Hundebegegnungen zeigt sich  der sehr schnell erreichte hohe Erregungszustand bei Gubacca.  Es gibt bei ihm kein langsames "hochschaukeln", sondern er explodiert dann auch sofort, wenn ein fremder Rüde in schief anschaut.

Diese typische von 0 auf 300 Eigenschaft macht sich schon bei den Goswelpen oder den "Pubertieren" bemerkbar und sie schießen  beim Spielen schnell   über das Ziel hinaus. Sie haben noch keinen Begrenzer und neigen dann auch zu Übersprungshandlungen, wie in die Leine zu beißen oder ihren Menschen anzuspringen. Gerade frischgebackenen Welpeneltern predigen daher viele Goszüchter immer wieder: "Bringt eurem Welpen in den ersten Monaten bei zu Ruhe zu kommen, Gas geben kann er schon!" Auch vom "Bällchen werfen" und Hetzspielen wird gewarnt. Leider wird das häufig belächelt und die "stolzen Eltern" freuen sich über den quirligen Nachwuchs. "Mein Perro ist unermüdlich!  Gestern ist er mit mir über eine Stunde stramm gelaufen", hört man besonders die Mini-Rütters gerne stolz erzählen. Dabei wäre die Königsdisziplin genau das Gegenteil gewesen - ein Welpe der viel geschlafen hat. Ja die "wilden fünf Minuten" sind viel witziger anzusehen!  Und auch ich muss bis heute immer lachen, wenn der Riese wie ein kleiner Karnickel durch den Garten jagt und dabei die Hinterläufe die Vorderbeine überholen. Wenn dann aber später "Kevin" Stammgast wird und aus den niedlichen 6 Kilogramm, schon 15 geworden sind, die einen beherzt anspringen und anpöbeln, wird es weniger lustig. Zum Glück ist das zur "Ruhe kommen" bei Gubacca nie ein Problem gewesen. Bis heute kann er sich im größten Chaos einfach einrollen und schläft. Dafür gehört er bei der Geschwindigkeit von 0 auf 300 zu kommen zur Spitzenliga. Sehr passend, da mir früher manchmal auch das Reaktionsvermögen einer Schlaftablette nachgesagt wurde. Das hat sich mittlerweile geändert - bei mir - Gubacca ist immer noch der Ferrari.


Um die mahnenden Worte vieler Züchter zu verstehen, muss man sich bewusst machen, wie es einem Körper gelingt in kürzester Zeit auf 300 zu sein. Eine große Portion Hormone ist hierfür  erforderlich. Im gewissen Sinne gerät der Organismus ja in Alarmbereitschaft und  muss unter anderem viel  Adrenalin  freisetzen. Dummerweise haben gerade die jungen Hunde keinen Begrenzer und überdrehen schnell. Gerade beim Spielen mit Artgenossen oder in der Hundeschule macht sich das oft bemerkbar. Bei Gubacca war der Auslöser  für das "Motor überhitzen" oft Wasser und das aufgestellte Planschbecken im Garten kostete mich mein Lieblingsshirt. Vollkommen in Ekstase kannte das Pubertier keine Hemmungen mehr und zerrte an meiner Kleidung. Später machte sich der schnell erreichte hohe Errungszustand beim Laufen am Rad bemerkbar. Ich hatte am Anfang das Problem, dass Gubacca nach einer gewissen Strecke überdrehte und anfing in die Leine zu beißen. In solchen Fällen hilft eigentlich nur eins: Raus aus der Situation mit dem Adrenalin-Junkie. Denn  unser vermeintlicher Ferrari hat  einen Haken. Der Bremsweg ist deutlich länger wie die Beschleunigung. Es ist nach wie vor  für mich eine kleine Kunst zu lernen, meinen Sportflitzer wieder auf normales Tempo zu bringen. In vielen Alltagssituationen gelingt mir das mittlerweile sehr gut. Es gibt aber auch Erlebnisse an die ich nur sehr ungerne zurückdenke. Zu den Spitzenreitern gehört die Seebrücke am Schöneberger Strand.




Zwischen diesem hübschen Foto und einem vollkommen ausrastenden, kleinen Monster lagen nur wenige Sekunden. Auslöser war ein kleines Mädchen, dass mit ihrem Rad über die Holzbrücke polterte und Gubacca in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Zum Glück hatte ich die Leine zu dem Zeitpunkt fest in der Hand, trotzdem war es kaum möglich mit der tobenden Furie wieder von der Brücke zu kommen. Zum Glück sind solche Erlebnisse heute sehr selten geworden, aber sie haben mich in der Vergangenheit echt  Nerven gekostet. Außerdem hat der lange Bremsweg noch eine Tücke - man muss dem schnittigen Spanier auch ausreichend Zeit zum Abkühlen geben. Und damit kommen wir wieder zu dem Anliegen vieler Züchter den jungen Gossis Ruhe beizubringen. Ein Hundekörper braucht relativ lange um seinen Erregungslevel wieder auf 0 zu bringen. Kommt der Körper nie richtig zur Ruhe, sondern schießt immer wieder von 100 auf 300 ist das Dauerstress, der krank macht.  Die Folge sind dann oft Hunde, die schnell ausflippen und zu Übersprungshandlungen neigen.

Dabei ist es kein Zauberwerk einen jungen Gos Ruhe beizubringen. Bei uns hat es zum Beispiel ganz viel gebracht, dass Gubacca von Anfang an seine Faltbox zum Ausruhen hatte. Außerdem hatte er sich ganz schnell an meinen Arbeitsrythmus gewöhnt und verschläft  auch heute noch regelmäßig die Vormittage. Für uns war die Mischung fester Rückzugsort und klar strukturierte Tagesabläufe, bei denen ich die Schlafzeiten vorgab, eine gute Mischung. Anstatt Bälle gab es das "Hütchen-Spiel" und so war zu Ruhe kommen eigentlich nie ein Problem bei uns. Wobei Gubacca aber auch ein Gos ist, der schon vom Wesen her sehr in sich ruht.



Mit diesem Wissen betrachtet ihr jetzt vielleicht auch euren Besuch bei einem Züchter mit ganz anderen Augen. Für mich war früher immer ein Garant für eine optimale Welpenaufzucht, dass es möglichst viel Spielzeug und Abwechslung für die Zwerge gab. Heute finde ich es genauso wichtig, dass die Welpen auch Rückzugsorte für sich haben. Gubacca und seine Geschwister hatten  zum Beispiel bei seiner Züchterin eine große Hundehütte auf der Terrasse stehen, in die sie sich  gerne zum Schlafen legten. Nicht nur wir können in den ersten Monaten ganz viel dazu beitragen, später einen entspannten Hund an unserer Seite zu haben, auch die ersten Wochen beim Züchter spielen eine Rolle.  Wie trubelig ist das Umfeld der Welpen? Gibt es ausreichend Rückzugsorte für sie? Sind die Zwerge lebhaft oder überdreht?  Alles das sind schon in der Frühprägung wichtige Punkte auf die wir bei der Wahl des Züchters achten sollten. Und das gilt nicht nur für den Gos, sondern generell für alle Welpen.




Warum kaufen sich Menschen gerne schnelle Sportflitzer? Weil die Beschleunigung von 0 auf 300 in kurzer Zeit ein tolles Gefühl ist. Mit dem Gos ist das nicht anders. Ist es einem gelungen den feurigen Spanier einen Begrenzer einzubauen und gibt man ihm ausreichend Zeit wieder abzukühlen ist diese Energie nicht nur bei dem Arbeitshund in Spanien eine tolle Eigenschaft. Ich glaube sie macht auch zu einem großen Teil die Faszination aus, die viele Menschen bei dem Gos empfinden. Aber das ist nur eine der vielen spannenden Eigenschaften, die der Gos sich durch seine Ursprünglichkeit bewahrt hat. Welche das noch sind erfahrt ihr demnächst im 2. Teil unserer Charakterbeschreibung.

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