Kapitel 5: Wenn nicht nur der Hund sich verändert

Mai 08, 2025

Die Pubertät verändert deinen Hund. Klar. Aber sie verändert auch dich. Nur redet kaum jemand darüber. Man liest Bücher, schaut Trainingsvideos, geht in die Hundeschule. Man arbeitet am Hund – an seiner Leinenführigkeit, am Rückruf, an der Impulskontrolle. Was jedoch nirgends steht, ist: Wie sehr einen die Pubertät des Hundes auch selbst ins Wanken bringen kann. Wie sehr man sich auf den Hund konzentriert, auf seine Entwicklung, seine Baustellen, sein Verhalten – und dabei völlig vergisst, dass man selbst auch mittendrin steckt. Nur halt emotional. Und das ganz ohne Wachstumshormone.

Eine große Hilfe dabei sind immer wieder unsere lieben Mitmenschen, die mit ihren gut gemeinten Ratschlägen nicht sparen: „Der testet dich gerade!“, „Der muss wissen, wo sein Platz ist!“, oder mein persönlicher Favorit: „Wenn du das jetzt nicht in den Griff bekommst, wie willst du dann mal einen ausgewachsenen Gos-Rüden bändigen?“ Danke auch. Genau das brauchte ich – ein mentaler Countdown zur Katastrophe.

Denn während ich versuchte, meinen jungen, hormonverwirrten Gubacca irgendwie durch diese Phase zu begleiten, rutschte ich selbst in eine Sinnkrise. Ich hatte Hundeerfahrung. Ich hatte mir Ziele gesetzt. Ich hatte sogar eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie ich diesmal alles besser machen wollte. Und dann stand ich da, mitten auf dem Feldweg, mit einem eskalierenden Gos am anderen Ende der Leine und der Frage im Kopf: „Schaffe ich das überhaupt?“ Dazu kam das Gefühl, dass ich in jeder Entwicklungsphase nur ein winziges Zeitfenster hätte, um alles richtig zu machen. Als würde eine geheime Pubertätsuhr ticken, die unbarmherzig runterzählt – und wenn ich zu spät komme, tja... Pech gehabt. Der Gos bleibt für immer durchgeknallt. Ich hatte Angst, ihm nicht gerecht zu werden. Angst, meine Chance zu verspielen. Und gleichzeitig wusste ich ziemlich genau, wo meine eigenen Defizite lagen. Geduld gehört nicht gerade zu meinen Königsdisziplinen. Ich war oft unklar in meiner Körpersprache und viel zu sehr damit beschäftigt, Fehler zu vermeiden – statt einfach mal im Moment zu leben.
 
Gubacca wurde in dieser Zeit zum ehrlichsten Spiegel, den ich je hatte. Er hat mir nicht nur meine Grenzen gezeigt, sondern auch meine wunden Punkte. Meine Ungeduld, meinen Wunsch, gemocht zu werden, meine Angst, zu scheitern. Jeder seiner Ausraster traf mich wie eine persönliche Abwertung. Nicht er hatte versagt – ich war die, die es nicht hinbekam. Jedes Ausflippen, jedes Ziehen an der Leine, jeder Rückschritt im Training fühlte sich an wie ein persönliches Scheitern. Und ja, ich habe mich verglichen. Dauernd. Mit der Nachbarin, deren Hund immer so brav bei Fuß läuft. Mit dem Typen aus der Hundeschule, der nie die Geduld verliert. Mit irgendwelchen Menschen auf Instagram, die bei Sonnenuntergang perfekte Freilaufbilder posten. Nur dass ich dabei vergaß: Ich sehe immer nur einen Ausschnitt. Und niemand postet die Szene von kurz davor, wie der Hund einen Radfahrer hinterherjagt.



Und wisst ihr, was das Fatale an der ganzen Nummer war? Ich habe diese Gedanken lange nicht mal in Frage gestellt. Ich habe sie einfach geglaubt. Dass ich zu weich bin. Zu wenig klar. Zu emotional. Zu wenig „Alphatier“. Als hätte es irgendwo eine geheime Gebrauchsanweisung gegeben, wie man gefälligst als Halterin eines Gos d’Atura zu funktionieren hat – und ich wäre direkt im ersten Kapitel gescheitert. Aber irgendwann – irgendwo zwischen einem hysterischen Krawallbellen, einer völlig misslungenen Hundebegegnung und dem zwölften gescheiterten Trainingsansatz – habe ich angefangen, die Perspektive zu wechseln. Ich hab versucht, mir selbst mit dem gleichen Verständnis zu begegnen, das ich Gubacca immer wieder abverlange: Geduld. Nachsicht. Humor. Und die Erkenntnis, dass es völlig okay ist, wenn man nicht sofort alles im Griff hat.

Heute weiß ich: Es waren nicht die Trainingsmethoden, die mich weitergebracht haben. Es war die innere Arbeit. Die Entscheidung, mich selbst ernst zu nehmen – mit meinen Zweifeln, meinen Ängsten, aber eben auch mit meinen Stärken. Ich musste lernen, dass nicht jeder Rückschritt ein persönlicher Makel ist. Sondern ein Teil des Weges. Ein Wendepunkt kam auch, als ich Gabi kennenlernte – unsere Hundetrainerin. Bis dahin hatte der Fokus in jeder Hundeschule immer auf dem Hund gelegen. Auf dem „anspruchsvollen Gos“. Auf dem, was er lernen sollte. Gabi drehte den Spieß um. Sie zeigte mir, wie ich klar werden konnte. Statt dem ewigen „Nein“ oder „Lass das!“ lernte ich, Gubacca einfach zu sagen, was er tun soll. Eine Kleinigkeit – mit großer Wirkung. Und plötzlich sah ich nicht mehr nur den Pubertierenden, der mich in den Wahnsinn trieb, sondern das Wesen hinter dem Verhalten. Einen jungen Hund, der Orientierung suchte. Der Nähe wollte. Der unsicher war. Und der nicht trainiert werden wollte wie ein Zirkustier, sondern auch einfach mal spielen durfte. Auf dem Spaziergang. Mit mir.

Und dann war da dieser Satz: „Jeder bekommt den Hund, den er braucht.“ Ich hatte ihn früher für einen Kalenderspruch gehalten. Heute glaube ich: Er stimmt. Gubacca hat mir meine Ecken gezeigt, die ich vorher weggelächelt habe. Ich habe gelernt, meine Grenzen zu benennen. Mich abzugrenzen. Mich zu beruhigen. Und das Gegenüber zu sehen – ohne gleich in den Optimierungsmodus zu verfallen. Das hilft mir heute auch in anderen Lebensbereichen. Besonders darin, andere einfach mal sein zu lassen, wie sie sind. Natürlich kamen die Selbstzweifel trotzdem. Auch der Vergleich mit anderen ließ sich nicht einfach abstellen. Ich sah andere Halter mit ihren souveränen Hunden und fragte mich: Was habe ich falsch gemacht? Warum klappt es bei uns nicht? Warum ist mein Hund Mr. Drama auf Speed – während andere neben dem Kinderwagen hertraben und noch dabei telefonieren können?

Ich fühlte mich oft wie eine Versagerin. Und wenn mir jemand sagte, wie süß mein Hund sei, dachte ich nur: Du hast keine Ahnung. Aber ich nickte und lächelte, weil ich nicht erklären konnte, dass der vermeintlich süße Hund sich in Zehntelsekunden in eine rasende Furie verwandeln kann. Was mir half, war ein Perspektivwechsel. Ich fing an, mich selbst zu beobachten – so wie ich Gubacca beobachtete. Ich fragte mich: Was stresst mich wirklich? Warum reagiere ich so heftig? Was denke ich in dem Moment – über mich, über ihn? Und was davon stimmt überhaupt?


Ich stellte fest: Ich war nicht nur enttäuscht von ihm. Ich war enttäuscht von mir. Ich hatte geglaubt, ich sei geduldig. Dass ich die Nerven behalten würde. Dass ich das hinbekomme. Ich hatte geglaubt, dass Bindung allein reicht. Und dass ich mit Gefühl mehr erreichen kann als mit Erziehung. All das kam ins Wanken. Und das tat weh. Aber es war auch heilsam. Denn ich lernte: Ich muss nicht alles perfekt machen. Ich muss nicht immer stark sein. Ich darf überfordert sein. Und ich darf Pausen machen. Manchmal war das die größte Leistung des Tages: nicht zu trainieren. Nicht an der Baustelle zu arbeiten. Sondern einfach nur einen Spaziergang zu überstehen, ohne zu weinen. Oder ohne den Kopf voller Gedanken daran, was das jetzt wieder für meine „Erziehungsstrategie“ bedeutet.

Ich begann, innerlich andere Bilder zuzulassen und fing an, kleine gemeinsame Erfolge zu feiern. Eine entspannte Runde. Ein Blickkontakt. Ein Moment, in dem er sich fallen ließ. Und ich erkannte, dass ich nicht alleine war. Denn irgendwann, wenn man sich traut ehrlich zu sein, hört man von anderen die gleichen Geschichten. Die gleichen Tränen. Die gleichen schlaflosen Nächte, die gleichen Versagensgefühle. Plötzlich wird aus der einsamen Heldin mit dem komplizierten Hund eine Gemeinschaft von Menschen, die alle das Gleiche durchmachen. Und manchmal reicht das schon, um durchzuatmen.

Was mir bis heute hilft? Vieles. Aber nicht alles gleichzeitig, sondern  Baustein für Baustein. Zum Beispiel: der Gedanke, im Hier und Jetzt zu bleiben. Ja, klingt abgedroschen – aber dieser ewige Blick in die Zukunft, dieses „Wie soll das erst werden, wenn er mal ausgewachsen ist?“, macht einen einfach nur kirre. Mein Gos ist mittlerweile erwachsen. Und? Überraschung: Auch da gibt’s noch Baustellen. Nur eben andere. Heute weiß ich, dass es nichts bringt, sich von möglichen Problemen der Zukunft verrückt machen zu lassen. Und trotzdem ertappe ich mich manchmal dabei, genau das zu tun.

Und dann hilft es, sich nochmal klarzumachen, wofür diese Rasse eigentlich gezüchtet wurde. Viele dieser vermeintlichen „Problemverhalten“ liegen einfach in der Natur der Sache. Sie sind kein persönliches Versagen, sondern ein ziemlich gut durchdachter genetischer Bauplan. Das macht es nicht immer leichter, aber verständlicher. Und manchmal ist das schon die halbe Miete.


Ebenfalls geholfen hat das berühmte Kopfkino. In schwierigen Momenten versetze ich mich innerlich in die Rolle eines alten, souveränen Schäfers – wettergegerbt, mit ruhigem Blick und dem Motto: „Das ist nicht mein erster Rodeo.“ Das verändert sofort meine Haltung – und oft auch Gubaccas Reaktion. Und wenn er mal wieder hochfährt, stelle ich mir einen Luftballon vor, aus dem langsam die Luft entweicht. Nicht auf einen Schlag, sondern stetig. Ein Bild, das mir hilft, nicht mit hochzugehen, sondern ihn sanft runterzuholen. Funktioniert übrigens auch mit Achtjährigen.

Manchmal höre ich diesen Satz in meinem Kopf: „Sieh jede Herausforderung als Trainingseinheit.“ Klingt gut. Ist auch gut. Aber ich gestehe – ich kneife manchmal. Wenn ich merke, dass ich heute nicht die Nerven habe, dann wird eben nicht trainiert. Dann wird ausgewichen, umgedreht oder ignoriert. Denn entscheidend ist nicht nur, wie Gubacca heute drauf ist – sondern auch, wie ich drauf bin. Was mich übrigens auch zum Thema Selbstreflexion bringt. Wenn ich mich über Gubacca ärgere, lohnt es sich manchmal, zuerst in den Spiegel zu schauen. Starte ich selbst schon auf 180 in den Spaziergang, darf ich mich nicht wundern, wenn mein Gos innerlich ebenfalls den Motor warmlaufen lässt. Und wenn ich der "Bekloppten mit ihren Hund" schon Minuten vor der Begegnung gedanklich die Stirn biete – wie soll Gubacca da entspannt bleiben?

Ach, und dann sind da noch die Brücken. Diese inneren Planungs-Bauwerke, auf denen ich mir im Vorfeld schon sämtliche Katastrophenszenarien ausmale. Ein echter Klassiker, der mich bis heute begleitet. Und der so gar nichts mit Präsenz und Achtsamkeit zu tun hat – aber eben menschlich ist. Und genau deshalb: auch okay.

Und falls du dich jetzt fragst, ob ich das heute alles besser im Griff habe: Nö. Also… manchmal schon. Und manchmal stehe ich immer noch da, tief durchatmend, mit dem imaginären Schäferhut auf dem Kopf, während Gubacca mir zeigt, dass acht Jahre kein Grund sind, auf Eskalation zu verzichten. Aber ich nehme es mit mehr Humor. Mit mehr Nachsicht – vor allem mit mir selbst. Und mit dem Wissen: Ich bin nicht allein. Wir alle stehen mal im Wind, mit einem katalanischen "Mit 300 über den Punkt" an der Leine und dem Gefühl, gleich umzufallen. Aber hey – wir wanken gemeinsam. Und manchmal reicht genau das, um weiterzugehen.




Im nächsten Kapitel geht es genau darum: Was bleibt, wenn die Hormone sich langsam legen? Wie verändert sich die Beziehung nach der Sturm-und-Drang-Zeit? Und warum fühlt es sich am Ende an, als hätte man zusammen ein wildes Abenteuer überlebt – und wäre dadurch unzertrennlich geworden?

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Bine & Gubacca