Kapitel 2: Wenn im Kopf der Sturm tobt – Pubertät beim Hund (und warum sie beim Gos besonders kracht)
April 28, 2025
Es gibt diesen Moment – vielleicht sogar nur eine Sekunde – in der man es spürt: Irgendetwas ist anders. Der Blick des Hundes verändert sich, das Ohrenspiel ist fahriger, das sonst so verlässliche „Sitz“ wirkt plötzlich wie ein Fremdwort. Willkommen in der Pubertät. Die Phase, in der das kleine süße Lockenköpfchen plötzlich Dinge vergisst, die es längst konnte. In der es Grenzen testet, mit den Ohren auf Durchzug schaltet und sich in Sekunden von Schmusebär zu Hooligan verwandelt. Willkommen im Gehirn-Umbau. Nur: Beim Gos kündigt sich dieser Wandel nicht leise an. Er kommt nicht mit Pickeln und schlechter Laune, sondern eher mit einem inneren Orkan. Und wer glaubt, das sei wie bei anderen Hunden – nur mit mehr Fell –, der unterschätzt, was da im Hirn eines jungen Gossen abgeht.
Die Pubertät beim Hund beginnt – je nach Rasse – zwischen dem 6. und 12. Lebensmonat. Beim Gos oft eher früher, bei Gubacca sehr früh. Was viele unterschätzen: Es ist nicht nur ein körperlicher Reifeprozess, sondern vor allem ein neurologischer Ausnahmezustand. Das Gehirn wird „umverkabelt“ – besonders der präfrontale Cortex (zuständig für Impulskontrolle, Planung, soziales Verhalten) ist betroffen.
- Hormone schießen durch den Körper, allen voran Testosteron oder Östrogen.
- Die emotionale Reizbarkeit steigt, gleichzeitig sind Stress- und Frustrationstoleranz im Keller.
- Vorhandenes Wissen ist zwar gespeichert, aber nicht immer abrufbar – wie bei einem Rechner, der ein Update macht und währenddessen nicht reagiert.
Alles, was vorher geklappt hat, kann plötzlich wackeln. Doch während andere Rassen diesen Umbau vielleicht mit einem dezenten pubertären Augendrehen begleiten, geht der Gos andere Wege. Und das liegt nicht an Trotz, sondern an Herkunft. Der Gos denkt anders – und das macht’s kompliziert.
Was macht den Gos in der Pubertät so besonders?
Kurz gesagt: seine Herkunft als unabhängiger Hütehund ohne direkten Menschenfokus.
- Autonomie steht über Gehorsam. Die typische „Warum sollte ich das jetzt tun?“-Frage ist keine Provokation, sondern tief im Wesen verankert. Der Gos wurde dafür gezüchtet, eigenständig zu handeln – ohne auf ein „Sitz“ zu warten. In der Pubertät, wenn Regeln plötzlich auf dem Prüfstand stehen, zeigt sich diese Selbstständigkeit sehr deutlich: Warum sollte ich? ist ein durchaus ernst gemeinter Gedanke.
- Feinfühligkeit. Gossis sind extrem reaktiv – sie nehmen Stimmungen, Spannungen und Reize oft schneller wahr als wir. In der sensiblen Umbauzeit kann das zur echten Reizüberflutung führen.
- Reize werden stärker gewichtet. Der Gos sieht, riecht und hört mehr als andere – und bewertet es instinktiv auf Gefahr oder Nicht-Gefahr.
- Gefühle drücken durch. Statt sich zu regulieren, wird gesprungen, gebissen oder gebellt – nicht aus Bosheit, sondern aus Überforderung.
- Territorialität & Schutztrieb. Auch diese Anlagen erwachen in der Pubertät. Und da der Gos kein Lehrbuch hat, in dem steht, was schützenswert ist und was nicht, probiert er’s erstmal mit allem – Menschen, Stöcke, Mülltonnen.
- Bezugspersonenbindung. Einige Gossis entwickeln eine starke Ein-Mensch-Beziehung. In der Pubertät kann diese Bindung kurzfristig auf die Probe gestellt werden – nicht weil sie weg ist, sondern weil sie neu verhandelt wird.
Die Pubertät verläuft nicht wie eine gerade Treppe nach oben, sondern wie eine wilde Küstenstraße: mal ruhig, mal stürmisch, mal komplett unberechenbar. Und das ist vielleicht das Zermürbendste: Es gibt Tage, da läuft alles gut. Und dann kommt plötzlich die Welle. So war es auch bei Gubacca. An einem Tag souverän, ansprechbar, konzentriert – und am nächsten wie ferngesteuert im Ausnahmezustand. Und zwar nicht, weil er etwas „nicht durfte“, sondern weil ihn die Situation schlicht überforderte.
Diese Wellen sind nicht nur normal, sie sind wichtig. Denn in den ruhigen Phasen verankern sich Fortschritte. Genau deshalb ist es bei einem Gos entscheidend, dranzubleiben: Wiederholungen schaffen Sicherheit, Rituale geben Orientierung. So stürmisch diese Phase auch ist – sie ist kein Fehler im System. Sie ist ein Teil davon. Der Umbauprozess im Hundekopf braucht Geduld. Viel Geduld. Und einen langen Atem. Beim Gos kommt hinzu, dass sein rassebedingtes Verhalten in der Pubertät oft besonders deutlich auftritt. Nicht, weil er "schlimmer" ist – sondern weil er kompromissloser zeigt, was in ihm steckt. Er ist kein Hund, der sich brav durch diese Phase schleicht. Er geht mit wehender Fahne durch den Sturm.
Ich bin zwar keine Hundetrainerin und auch kein Verhaltensexperte – aber ich bin mit Gubacca durch genau diese Phase gegangen. Und ich weiß: Nichts verunsichert mehr, als ein Hund, der ohne erkennbaren Grund eskaliert.
Wenn du gerade mittendrin bist:
- du bist nicht schuld.
- du bist nicht allein.
- und: Ja, es wird besser. Irgendwann.
Aber bis dahin fühlt es sich manchmal an, als würdest du in einem Moment noch auf festem Boden stehen – und im nächsten bricht der Boden unter dir weg. Genau so war es auch bei uns. Immer wieder. Und manchmal reichte eine winzige Kleinigkeit, damit der Schalter kippte...
Ein herzliches Dankeschön an León, für die fachliche Unterstützung bei diesem Artikel :-).
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Liebe Grüße
Bine & Gubacca