Leinenpöbelei - Im Gespräch mit Ingeborg Freund

Februar 08, 2024

Bine: Hallo Ingeborg, vor kurzem habe ich dein Online-Seminar zum Thema „Leinenpöbelei“ besucht und mir wurde dabei wieder bewusst, wie komplex dieses Thema ist. Es reicht leider nicht aus nur Hundebegegnungen zu trainieren, sondern mein gesamtes Zusammenleben mit Gubacca steht mit auf dem „Prüfstand“, wenn ich sein Verhalten langfristig ändern möchte. Es gibt leider auch kein Patenrezept und schwups habe ich kein Wolf, sondern ein Lämmchen an der Leine. So funktioniert Hundetraining leider nicht. Ich weiß noch wie genervt ich früher immer war, wenn ich einer Hundetrainerin oder einem Hundetrainer ein Problem mit Gubacca schilderte und prompt kam die Frage „Und wie läuft es Zuhause?“ „Bestens“, grummelte ich dann gerne vor mich hin. Und was das Thema „Leinenführigkeit“ mit Gubaccas pöbeln bei unkastrierten Hunden zu tun haben sollte, leuchtete mir auch nicht ein. Aber ich muss zugeben - heute weiß ich, dass man leider an dem „Gesamtpaket“ arbeiten muss und nicht nur an dem was mich gerade stört. Wobei ich trotzdem davon überzeugt bin, dass es bei uns Zuhause gut läuft und ich da keine bzw. kaum Möglichkeiten habe etwas zu verbessern. 



Ingeborg: Auch, wenn du es auf den ersten Blick für dich und Gubacca verneinst, sobald du draußen irgendein Problem mit deinem Hund hast, solltest du überlegen, wie ist unser Zusammenleben Zuhause? Denn, wenn ich von meinem Hund nichts einfordere, dann kann er locker nett sein.

Bine: Ich habe zwar normalerweise kein Problem damit mich zu reflektieren und zuzugeben, wenn etwas schlecht läuft, aber bei uns Zuhause habe ich wirklich den liebsten Hund, den man sich wünschen kann. Ich wüsste jetzt überhaupt nicht, wo ich ansetzen sollte, um ein Verhalten zu ändern.

Ingeborg: Das glaube ich dir sogar sofort Bine. Weil wir viele Verhaltensweisen unserer Hund überhaupt nicht negativ wahrnehmen oder überhaupt wahrnehmen. Was wir erleben sind oft nur Kleinigkeiten für uns. Zum Beispiel das geschickte einfordern von Streicheleinheiten. Was machen wir? Natürlich fangen wir sofort an zu kraulen. Ich kenne keinen Menschen der das nicht macht. Dem schmachtenden Blick kann man einfach nicht widerstehen. Aber der Mensch sollte agieren nicht reagieren.

Bine: Ich dachte, dass wäre schon längst veraltet, dass man seinen Hund nicht streicheln darf, wenn er von sich aus den Kontakt sucht?

Ingeborg: Die Sache ist, ob er es einfordert und uns manipuliert. Viele Hunde machen das auf eine ganze charmante Art und Weise. Der Kopf wird zum Beispiel auf den Schoß, Oberschenkel gelegt oder die Hände mit der Schnauze angestupst. Das sollten wir dann einfach ignorieren. Ich sage immer: „Der Mensch ist Herrscher über Zeit und Raum“. Das hat nichts damit zu tun, dass man seinen Hund abweist. Man bestimmt nur den Zeitraum. Ich bestimme wann es beginnt und wann es endet. Ich muss bei solchen Aktionen immer Schmunzeln. Aber auch hier ist es sehr wichtig das Gesamtbild beachten. Habe ich zum Beispiel beim Kraulen versucht ihm ein Haarknoten zu entfernen und ihn dabei vielleicht am Fell gezupft, (ganz schrecklich!) ist es eine automatische Reaktion, dass mein Hund sich zurücknimmt.



Bine: Ein bisschen skeptisch bin ich noch bei dem Thema „Streicheln“ muss ich zugeben. Aber du hast vollkommen recht, man muss immer das Gesamtbild bewerten. Gubacca ist nicht so der „Kuschelkönig“, von daher freue ich mich immer sehr, wenn er dann doch mal zu mir kommt. Trotzdem gibt es aber auch Situationen wo ich es als störend empfinde, wenn ich zum Beispiel im Home-Office bin und arbeite. Da wird er dann auch von mir ignoriert. Hast du noch andere Beispiele?

Ingeborg: Ja, klar. Wir sollten auf jeden Fall bestimmen wie der Tagesablauf verläuft. Hunde stehen gerne pünktlich bereit und würden wahrscheinlich sagen „Hey, wann wird der Kühlschrank geöffnet. Aber auch hier ist es wichtig, auf seinen Hund zu achten. Hunde manipulieren uns gerne – wo bei das nicht böse von ihnen gemeint ist. Es ist völlig natürlich auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Wir gehen einfach viel zu oft gerne darauf ein. Einen solchen Fall habe ich vor kurzem von einer Kundin wieder geschildert bekommen. Der Hund hat seinem Frauchen eine ganz Zeit lang perfekt vorgespielt, dass er jeden Morgen um 4 Uhr dringend raus musste. Frauchen ist wochenlang darauf eingegangen... bis sie festgestellt hat: „Mensch der verarscht mich doch.“ Eigentlich war ihm nur langweilig - ein Frühaufsteher, der gerne beschäftigt werden wollte.

Wichtig sind auch feste Regeln im Haus. Aber auch dabei gilt wieder: „Habe ich keine Probleme mit meinem Hund, muss ich auch nicht so sehr darauf achten. Möchte ich ein Verhalten abstellen, sollte es unter anderem ein Tabubereich geben. Bei mir ist das zum Beispiel das Bad. Dabei bleibt die Tür aber auch auf, wenn ich das möchte. Meine Hunde lernen so meine Wünsche zu respektieren.

Bine: Ja das machen wir sogar bereits. Bei uns ist es der offene Küchenbereich, der zur Tabuzone wird, sobald wir kochen.

Ingeborg: Natürlich ist das ganze auch eine Form von Dominanz. Aber wir machen oft den Fehler und verbinden mit „Dominanz“ sofort etwas negatives. Dabei sollte Dominanz in erster Linie dazu dienen, meinen Hund zu schützen. Für mich ist es wichtig, dass der Mensch jederzeit bestimmen kann, ob er etwas will oder nicht. Die Hunde müssen unsere Ansprüche respektieren. Bei mir gibt es auch beim Thema „Essen“ kein betteln. Dabei ist für mich auch schon betteln, wenn sich mein Hund vor mich setzt oder jeden Bissen mit seinem Blick verfolgt. Da könnte ich nicht mit Genuss essen.

Bine: Na, da kann ich sofort einen weiteren dicken Haken bei uns machen. Sobald wir zum Beispiel abends im Wohnzimmer essen, verschwindet Gubacca automatisch in sein Körbchen.

Ingeborg: Super! Und wahrscheinlich musstest du das gar nicht groß trainieren mit Gubacca. Genau das ist ein typisches Beispiel dafür das Grenzen akzeptiert werden, ohne dass man das üben muss. Learning by doing...

Bine: Das stimmt Ingeborg und ich merke immer, dass Sachen deutlich besser funktionieren, die mir einfach auch wichtig sind. Alles andere werden schnell eingeübte Kunststückchen, die Gubacca gerne auch mal für mich abspult, ohne davon überzeugt zu sein. Wobei ich denke, dass die meisten Baustellen bei uns draußen liegen - im Haus war ich wahrscheinlich auch konsequenter und in reizarmer Umgebung lernt es sich ja auch einfacher.

Ingeborg: Das höre ich oft von meinen Kunden. Und dann scheitert plötzlich doch der ein oder andere, wenn ich ihn bitte, mir zu zeigen, dass er ruhig und gesittet mit seinen Hund zum Spaziergang aufbricht.




Das verlassen des Hauses klappt meistens schon nicht und viele haben schon Probleme damit, dem Hund sein Halsband anzuziehen. Aber klar - die Erwartungshaltung beim Hund ist ja auch sofort riesig, weil alles nach einer festen Routine abläuft. Wir stehen auf, ziehen uns Jacke und Schuhe an und greifen zum Halsband… Dabei ist es ganz einfach dieses feste Muster aufzubrechen. Ein Lösungsansatz könnte sein, den Hund ins Sitz oder Platz zu bringen und er muss warten bis wir startbereit sind. Viele Hunde sind damit jedoch schlichtweg überfordert und zu aufgeregt, um ruhig in einer Postion zu bleiben. In dem Fall werden wir einfach unvorhersehbar: Jacke anziehen und fernsehen schauen oder erst noch einen Kaffee trinken. Wir müssen nur die Rituale verändern. Kurz rausgehen – wieder reingehen und z.B.noch etwas holen. Wenn Hunde zu aufgeregt sind, es geht wieder zurück. Selbst Ruhe bewahren und keinen Frust aufkommen lassen. Mach ein Spiel daraus. Hat sich das aufgeregte Verhalten schon sehr gefestigt, könnte eine Alternative sein, künftig einfach einen anderen Ausgang, wie die Terrassentür zu wählen. Das ist dann Management um Entspannung rein zu bekommen.

Bine: Ich habe bei Gubacca als Junghund oft die Erfahrung gemacht, dass Spaziergänge mit ihm schnell stressig wurden, wenn wir mit einem hohen Erregungslevel gestartet sind. Zum Beispiel, wenn er längere Zeit alleine zu Hause war und ich dann sofort nach der stürmischen Begrüßung mit ihm losmarschiert bin. Dann reichte nur eine doofe Situation und mein Katalane explodierte.

Ingeborg: Stimmt Bine, in dem Fall wäre es besser gewesen ihn erst in Garten zu lassen und eine Weile abzuwarten. Oft reagieren Hunde ja auch sehr aufgeregt, wenn man sie aus dem Auto lässt. Damit der Spaziergang trotzdem entspannt startet, könnte man ihn zum Beispiel einfach ein paar Mal ein- und aussteigen lassen, bis der Erregungslevel wieder gesunken ist.

Ein weiteres Problem im Zusammenleben mit unseren Hund ist, dass viele Menschen zu viel Verständnis für ihre Hunde haben und ihr Verhalten immer schnell entschuldigen. „Max war ja zwei Stunden alleine gewesen - klar, dass er jetzt aufgeregt ist…“ Schon ist der erste Stolperstein gelegt. Ganz besonders gerne machen wir das bei Aktionen, die wir zwar nicht schön finde, sie aber belächeln, weil wir sie nicht ändern können. Und klar, vieles ist dem einzelnen auch einfach nicht so wichtig. Ich sage immer zu meinen Kursteilnehmern: „Du entscheidest was dich stört, aber achte bitte auch darauf, was andere Menschen stört.“ Ein Beispiel mit dem wir oft konfrontiert werden ist die Einstellung vieler: Ich muss meinen Hund von der Leine lassen, weil er so aufgeregt ist. Aber vielleicht mag der andere Hund keine Begrüßung oder jemand hat Angst vor ihm?!

Natürlich löst es bei unserem Hund Frust aus, wenn wir ihn Grenzen aufzeigen. Ähnlich wie wir es von kleinen Kindern kennen, die sich schreiend und heulend auf den Boden werfen, weil es an der Supermarktkasse den Schokoriegel nicht gibt. Aber genauso wie Kinder müssen Hunde lernen mit Einschränkungen umzugehen. Viele Leinenaggressionen sind einfach Frust, weil er nicht zu dem anderen Hund hinlaufen darf. Die Folge sind dann oft: Bellen, sich hinlegen und leiden. Von daher ist es auch sehr wichtig seinem Hund von Anfang an beizubringen mit Frust klar zu kommen - auch wenn der kleine Welpe ja sooo niedlich ist. Die Mutterhündinnen sind uns da weit voraus und viel klarer in ihren Ansagen. Das kann der Kauknochen sein, den der Welpe gerne haben möchte, die Mutterhündin ihm aber nicht gibt. Die Mutter zeigt ihren Welpen auch ganz deutlich, wenn sie nicht möchte, dass er an ihre Zitzen geht. Natürlich genießen die Welpen auch bei ihr häufig Narrenfreiheit, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Und dann kommt der Welpe ins neue Zuhause und wir Menschen reagieren ganz anders, schließlich möchten wir von diesem kleinen Wesen ja geliebt werden. Dabei wird uns unser Hund viel mehr lieben, wenn wir ihm klar zeigen was wir von ihm möchten.

So muss sich ein Welpe zum Beispiel von uns gefallen lassen, dass er gekämmt wird. Ein Hund muss es auch aushalten können, dass wir ihn festhalten oder ihm das ungeliebte Halsband anziehen. Wir Menschen verfallen dann schnell in ein Meideverhalten und denken „Schon gut… machen wir nicht mehr…“ Dabei ist es immer gut viele kleine Übungen in den normalen Alltag zu integrieren. So vermeidet man auch, dass es einfach nur einstudierte „Kunststückchen“ sind.

Auch draußen lauern viele Fallstricke auf uns. Das erste Stück an der Leine ist oft schon eine Tortour. Natürlich haben wir auch dafür sofort eine Entschuldigung parat „Er muss ja dringend“ und lassen uns von ihm durch die Gegend ziehen. Sinnvoll ist es auch, den Spaziergang zu stückeln.Damit meine ich dass mein Hund nicht den kompletten Spaziergang sich selbst überlassen ist und nur schnüffeln darf. Man kann kleine Übungseinheiten einbauen, aber auch das gemeinsame Spiel darf nicht zu kurz kommen. Aber auch hier ist wichtig: Der Mensch bestimmt über Zeit und Raum.
Viele Menschen haben das Problem, dass ihre Hunde sie draußen überhaupt nicht beachten. Wenn ich das bei meinen Hunden bemerke und sie sind angeleint, laufe ich einfach zickzack und ich gehe - egal wie. Ich achte dabei auch nicht auf meinen Hund, wie er es schafft mir zu folgen. Mein Hund soll auf mich achten und nicht umgekehrt. 

Wir sind auch immer sehr bemüht unsere Hunde zu schützen. Wir entwirren die Leine, wenn sich der Hund darin verheddert hat. Entfernen sofort kleine Zweige, die beim Laufen stören können… Heben treu und brav das Bällchen auf, dass uns vor die Füße geworfen wird. Da wird man schnell zur Hilfskraft für unsere Hunde.

Bine: Das stimmt. Man verwechselt „Achtsamkeit für den anderen“ schnell mit einer Überfürsorge. So ist es natürlich auf der einen Seite für mich selbstverständlich, dass ich auf Dinge achte, die Gubacca schaden könnten oder für ihn unangenehm sind. Heißer Asphalt im Sommer, wieviel kann ich ihn bei wärmeren Wetter zumuten u.s.w. Ich kann auch schon direkt beim Parken darauf achten, dass er beim Aussteigen nicht gleich in eine Dornenhecke springen muss… Aber Dinge die er selbst beeinflussen oder verändern kann, wie ein störendes Blatt zwischen den Beinen - da muss ich wirklich nicht sofort parat stehen.
Ingrid: Ich sage ja auch oft „Erziehung fängt schon bei uns im Kopf an“ und wir müssen in der Mensch-Hund-Beziehung einfach viel öfters an uns selbst denken. Geht es mir gut - geht es auch automatisch meinem Hund gut. Wir achten auf unseren Spaziergängen viel zu oft auf unsere Hunde. Wo läuft er hin? Was macht er am Wegrand? Woran schnüffelt er da? Der Mensch hat ständig seinen Hund im Blick. Dabei stellt sich dann ganz schnell die Frage: Wer führt, wer folgt? In der Regel führt der, auf den auch ständig geachtet wird. In meinen Kursen bitte ich die Teilnehmer immer sich vorzustellen, sie wären in einer fremden Stadt mit einem Reiseführer unterwegs. Der Reiseführer kennt sich gut aus, marschiert zielstrebig vor uns her und nur er weiß wo mein Bett steht. Und was machen wir? Selbstverständlich passen wir gut auf, dass wir ihn nicht aus den Augen verlieren und folgen ihm gerne. In diese Rolle des Reiseführers sollten wir bei unseren Hunden schlüpfen! Natürlich darf mein Hund auch beim Spaziergang ein Stück vorlaufen - aber ich erwarte auch von ihm, dass er sich nach einer gewissen Distanz umdreht und fragt ob es weitergeht. Hunde können nämlich Entfernungen wunderbar einschätzen und so kann man ihn auch relativ einfach beibringen, sich nur in einem bestimmten Radius von mir zu bewegen. Dazu kann man sehr gut eine Schleppleine einsetzen.

Bine: Ich bin sicher die Kombination „Reiseführerin“ & Bine wird bei mir im Familien- und Bekanntenkreis ein Schmunzeln auslösen. Ich bin für meinen fehlenden Orientierungssinn berühmt und niemand verlässt sich gerne auf meine Ortskenntnisse… Ob ich da den schlauen Gubacca täuschen kann?! Aber Scherz beiseite - das waren viele tolle Anregungen und Tipps, wo ich auf jeden Fall noch einmal dran arbeiten kann. Und wer weiß, vielleicht löst sich dann sogar auch unser „Leinenpöbel-Problem“ fast von alleine. 

Ingeborg: Das freut mich Bine. Einen Tipp noch zum Schluss. Wir Menschen neigen dazu mit der Zeit bequem zu werden und dem Hund immer mehr nachzugeben. Es klappt nicht 100 % - dann verlangen oder erwarten wir beim nächsten Mal nur 80 % und was machen wir beim darauf folgenden Mal? Hundetraining ist wie wenn man ein neues Instrument lernt. Der Anfang ist immer schwer und dann wird es mit der Zeit immer leichter. Viel Spaß beim Umsetzen mit Gubacca.

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Ein herzliches Dankeschön an Ingeborg Freund, Hundetrainerin für das Gespräch!

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