Er hatte längst aufgehört, zu zählen, wie oft sie seinen Namen nicht sagte. Wie oft sie stattdessen Louis rief – mit diesem warmen Ton, der ihn durchdrang wie früher das „Leo, du Esel…“. Er wusste, dass sie ihn mochte. Nein – liebte. Aber eben nicht ihn. Nicht Leo. Sondern Louis. Und das war … schwer. Weil er sich nach ihr sehnte. Nach ihrer Nähe. Ihrem „Du Dussel“. Ihrem ganzen alten, wunderbaren Leben. Aber es war auch irgendwie… leicht. Weil sie lachte, wenn sie ihn ansah. Weil sie ihn streichelte, als wär’s das Normalste der Welt. Weil sie sich mit ihm anfreundete. Und mit sich selbst. Langsam. In kleinen Schritten. Mit Umwegen.
Er hatte es versucht. Wirklich. Er hatte sich wie früher auf die Fußmatte gelegt, war die gewohnte Bogenlinie über die Couch gesprungen, hatte demonstrativ den linken Schuh aus dem Regal gezogen –den, den er als Leo immer versteckt hatte. Aber sie hatte nur gelacht. „Du bist ja ein Clown, Louis.“ Nicht Leo. Nie Leo. Und irgendwann, an einem stillen Vormittag, auf dem Sofa, während sie las und er in ihrer Armbeuge schlief, hörte er auf zu kämpfen. Einfach so. Nicht aus Resignation. Sondern aus … Annahme. Vielleicht war es das. Vielleicht war Liebe am Ende nicht, wiedererkannt zu werden. Sondern einfach nur: dableiben zu dürfen. Er drehte sich auf den Rücken. Ihre Hand wanderte wie von selbst auf seinen Bauch. Und da war es. Ganz leise. Dieses Gefühl: Zuhause.
Nach dem letzten Punkt…
Ich habe lange überlegt, wie diese Geschichte enden soll. Ob es ein Happy End geben darf. Oder sogar muss. Dass Frauchen ihn erkennt. Endlich. Ihn, Leo. In Louis. Und dass sie sich dann einfach wiederhaben. Nur eben im XS-Format. Fast war ich in Versuchung. Weil ich Happy Ends liebe. Weil ich Leo liebe. Und ihn nur schwer loslassen kann. Aber während ich schrieb, wurde mir etwas klar: Manchmal liegt das Glück nicht darin, etwas zurückzubekommen. Sondern darin, es weiter lieben zu dürfen – auch wenn es sich verändert hat. Deshalb endet Leos Geschichte nicht mit einem großen Knall. Sondern mit einem kleinen Danach.
Ein kleines Danach
Die Sache mit dem Wiedererkanntwerden? Hatte Leo innerlich längst abgehakt. Kein dramatisches Innehalten mehr, kein: „Jetzt! Jetzt hat sie’s!“ Er wusste inzwischen: Wenn da etwas passieren sollte, dann leise. Zwischen einem Lächeln und einem Sonnenstrahl. Zwischen zwei Atemzügen.
Stattdessen passierten andere Dinge. Wunderschöne, kleine Dinge. Frauchen lachte jetzt wieder öfter. Richtig, mit Ton. Manchmal kicherte sie sogar, wenn Louis auf seinem viel zu kleinen Körper einen viel zu großen Stock balancierte – als wäre er wieder der wilde Gos, der sich für Waldarbeit zuständig fühlte. Sie lief die alten Wege. Ohne diesen stummen Kloß im Hals. Zeigte ihm die Welt. Und meinte es wirklich so. Manchmal blinzelte er dann. So, wie er es früher tat. Und sie streichelte ihm über den Kopf und sagte Dinge wie: „Du kleiner Clown, du.“ Oder: „Was wär ich bloß ohne dich, Louis.“
Das war der Moment, in dem er’s verstand. Nicht schlagartig. Eher wie eine langsame Welle. Er war ihr Louis. Nicht statt Leo. Sondern wegen Leo. Ein Teil des Alten, neu gefaltet. Vertraut und doch ganz anders. Kleiner. Weicher. Aber genauso warm. Und sie? Sie hielt nichts fest. Sie ließ los – und wurde dabei leichter. Er spürte das. Und er ließ mit los. Natürlich passierte es noch, dass sie „Leo“ sagte. Ganz leise. Meist, wenn sie dachte, er schlafe. Ein Echo. Kein Schmerz mehr. Eher wie ein Flüstern durch eine offene Tür.
An einem dieser Sonntage – Louis auf dem Bauch, die Sonne auf der Nasenspitze – streichelte sie ihn wie früher. Langsam, vertraut, versunken. Und dann murmelte sie, fast beiläufig: „Ach Leo … dieser Louis ist wirklich ganz besonders.“ Er blinzelte. War still. Und ließ sie in dem Glauben, dass sie einen kleinen Yorki liebte. Denn das war wahr.
🖋 Manche Geschichten enden nicht. Sie werden einfach leiser. Und wärmer.
Und manchmal – wenn keiner hinsieht – klaut Louis eine Möhre vom Küchentisch, schleift sie wie ein Pokal durch den Flur und legt sich damit auf den Teppich. Genau in diese Ecke. Die Leo früher nie hergeben wollte. Sie sagt nichts. Aber sie lächelt. Und ich schwöre dir: Da war’s wieder. Dieses Flüstern in ihrem Blick.
„Leo … du bist doch ein kleiner Betrüger.“