Ein „Joa, geht doch“-Tag - Reisetagebuch Langholz

Juni 26, 2025

Es gibt diese Tage, die leise anfangen, sich ein bisschen durchmogeln – und am Ende ganz unauffällig mitten ins Herz treffen. Kein Drama, kein Spektakel. Aber Sonne auf der Haut, Toastbrot im Bauch, ein Reh im Blickfeld – und die leise Erkenntnis: Vielleicht reicht genau das.


Nicht jeder Urlaubstag beginnt mit salziger Meeresluft und romantischem Vogelgezwitscher. Manche starten mit einem sehr realistischen „Och nö, nicht schon wieder nur die Morgenrunde um den Block.“ Aber Gubacca trägt aktuell noch Verband und Babysocken – und damit sind meine heiß geliebten Strandspaziergänge mit ihm fürs Erste gestrichen. Stattdessen: Kurzstrecke durch die Ferienhaussiedlung. Der perfekte Anlass also, um dem Aktivurlaub mal gepflegt den Rücken zu kehren und mich dem Gegenteil hinzugeben: ausschlafen. Und ganz ehrlich? Tut auch mal gut.

Wobei… ich es selbst kaum glauben kann: Die Bine von 2024 hätte jetzt vermutlich schon Gubacca ins Hunde-Taxi gehievt, sich den Fahrradhelm mit heroischer Entschlossenheit übergestülpt und wäre mit flatterndem Shirt und ambitioniertem Blick Richtung Bäcker nach Klein-Waabs gesaust. Die Bine von heute? Toastbrot ist auch nur ein sehr verkanntes Brötchen. Und wenn man’s lang genug anstarrt, glaubt man fast, es sei gewollt.“ Frische Semmeln? Komplett überbewertet. Vielleicht liegt’s am Wetter. Oder an meiner neuen inneren Komfortzone. Oder daran, dass ich in dieser Urlaubswoche einfach einen Ticken urlaubiger geworden bin. Bequemer. Nachsichtiger. Mit mir.



Aber dann kam dieser Moment. Der Himmel riss auf, die Sonne drängte sich durchs Grau – und ich war elektrisiert, als hätte jemand die innere Sonnen-an!-Taste gedrückt. Ohne lang zu fackeln, griff ich zur „Ich-will-endlich-braune-Beine“-Shorts. Ein Kleidungsstück, das sonst eher im hintersten Schrankwinkel Urlaub macht – neben den anderen „Wenn-niemand-guckt“-Klamotten. Denn ehrlich gesagt: Ich bin kein Fan meiner Beine. Also nicht im klassischen „Boah, schau dir mal diese durchtrainierten Waden an!“-Sinn. Eher im „Ach, guck – da hängen sie halt“-Modus. Aber hier kennt mich niemand. Und braune Beine wirken per Definition attraktiver als blasse. Sonnenlicht ist wie Weichzeichner von oben. Also: Mut zur Lücke – Hose kurz, Blick geradeaus, los geht’s!



Mit Gubacca – bestens gelaunt und lässig wie ein Sportmodel mit Kompressionsstrumpf – brachen wir auf zu meiner Lieblingsrunde. Diese Strecke ist wie ein Überraschungsei für Naturfreunde: Feld, Wiese, Ostseeblick, Steilküste und eine Prise Wildnis. Und dann – passierte das, was solche Spaziergänge unvergesslich macht. Ein Reh. Mitten auf der Wiese. Keine zehn Meter entfernt. Es stand einfach da, ruhig, wach, vollkommen unbeeindruckt.



Ich knotete Gubacca an einen Baum – der seinerseits völlig untypisch einfach still blieb. Kein Ziehen, kein Bellen, kein Hibbeln. Nur Gucken. Ich ging ein paar Schritte auf das Reh zu. Es schaute mich an. Nicht scheu. Nicht panisch. Sondern… vertraut. Als würden wir uns kennen. Als hätte es auf mich gewartet. Für einen Moment war alles still. Kein Wind. Kein Auto. Kein Gedanke an nasses Toastbrot oder Verbandspäckchen. Nur dieser Blick. Reh. Mensch. Gänsehaut. Und ich dachte: Manche Tiere sind einfach magisch. Und manchmal – sind es die eigenen Hunde auch. Vor allem, wenn sie solche Momente nicht stören, sondern begleiten. Still. Respektvoll. Und irgendwie… genau richtig.



Der Rest der Runde? War fast schon Nebensache. Gänsehaut trägt man sonst selten so lange spazieren. Wir begegneten Hasen (Gubacca: irritiert, aber null Jagdmodus), passierten das alte Militärgelände, warfen einen sehnsüchtigen Blick hinunter zum Strand von Klein-Waabs – und entschieden uns dann doch für den Rückweg über die Steilküste.





Am Ende noch ein steiniger Strandabschnitt – was Gubacca wieder seine stylishen Babysöckchen einbrachte. Er trägt sie wie ein Profi. Wie jemand, der weiß: Fürsorge sieht manchmal komisch aus – tut aber gut.



Für Nachmittags hatte ich großes Kino im Kopf: Wir, am Strand. Ich, in meiner Shorts. Leicht gebräunte Beine. Eine sanfte Brise. Kein Stein, kein Verband, nur Wellenrauschen und Urlaubsgefühl. Die Realität? Ich, am Strand von Lehmberg. Nieselregen. Wind. Und wieder im „Käfer-Fridolin“-Regenlook. Braune Beine? Vielleicht morgen. Immerhin bin ich mit meiner Hoffnung nicht allein. Hier gibt’s wirklich Leute, die selbst bei Starkregen in Shorts zum Supermarkt stapfen – man erkennt sie an den tiefbraunen Waden und diesem leicht irren Glanz in den Augen: „Ich zieh das durch. Ich hab bezahlt für Sonne – also wird gebräunt.“

Und dann kam noch die Tierbegegnung der anderen Art auf dem Rückweg vom Einkaufen. Zwei riesige Pferde. Ohne Reiter. Ohne Zaumzeug. Galoppierend in unsere Richtung  – auf unserer Fahrspur. Und keine 30 Sekunden später: Ein Mann, keuchend hinterher. Autos stoppen, Menschen steigen aus – wir mittendrin. Und ganz ehrlich? Hilflosigkeit in Reinform. Was macht man in so einer Situation? Rufen? Rennen? Hoffen? Wir entschieden uns für das einzig Sinnvolle: Warnen. Den nachfolgenden Verkehr stoppen. Ruhe bewahren. Platz machen. Manchmal ist Hilfe auch einfach: nicht im Weg stehen.

Den Rest des Tages verbrachten wir lesend im Wintergarten. Ohne schlechtes Gewissen. Gubacca lag zu meinen Füßen, ließ sich kraulen, schielte ab und zu raus in den Regen. Manchmal ist Nichtstun der schönste Luxus. Besonders, wenn draußen Wetter ist – und drinnen Gemütlichkeit.



Und am Ende bleibt nur eins zu sagen: Es war kein Tag, der auf Instagram für Herzchen sorgt. Aber einer von denen, die warm im Kopf bleiben. Mit Reh. Regen. Toastbrot. Und der Erkenntnis: Beine werden vielleicht nicht brauner – aber Erinnerungen heller. Morgen dann? Vielleicht Sonne. Vielleicht Brötchen. Vielleicht wieder die kurze Hose...

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