Zwischen Leo und Louis - Teil 6

Juni 03, 2025

Louis lag auf dem Sofa. Oder sagen wir: thronte. Der Blick erhoben, der Popo leicht angewinkelt, die Vorderpfoten akkurat voreinandergelegt. Frauchen hatte ihm vorhin das Fell gebürstet. „Damit du nicht immer aussiehst, als wärst du rückwärts durch einen Fön gefallen“, hatte sie gemurmelt. Als ob das etwas ändern würde. Er war halt kein Langhaarschönling. Er war Leo. Oder jedenfalls… gewesen. Und genau da lag das Problem. Denn irgendetwas lief hier gerade vollkommen aus dem Ruder. Frauchen lachte über ihn. Aber nicht über seine Eskapaden, wie früher. Nicht über seinen Größenwahn oder seine epischen Anfälle selektiver Taubheit. Nein. Sie lachte... zärtlich. So ein echtes, warmes Lachen. Eines, das ganz weich in den Augen blieb. Und manchmal – da streichelte sie ihn, und es war dieselbe Hand, die ihm früher das Halsband überstreifte, wenn sie zum Bach gingen. Nur dass sie jetzt sagte: „Na komm, kleiner Mann.“



Kleiner Mann. Leo musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzustampfen. Wenn man 25 Zentimeter groß war, klang das fast wie ein Hohn. Aber was sollte er tun? Er hatte es versucht. Wirklich. Mehrfach. Da war der Moment mit der Socke gewesen – die rechte vom Lieblingspaar. Die hatte er aus dem Wäschekorb gezerrt und mitten ins Wohnzimmer gelegt. Früher hatte sie sich schier kaputtgelacht. Jetzt nur: „Luuuuuis? Nicht dein Ernst.“ Dann die Sache mit der Couch – exakt dieselbe Stelle, an der er früher immer thronte. Er hatte sie sich heimlich zurückerobert. Frauchen kam rein, blieb stehen, starrte. Und sagte dann leise: „Du erinnerst mich so an...“ – an was? An wen? Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

Leo aber hatte gejubelt. Innerlich. Ein kleiner Trommelwirbel auf allen vier Pfoten. Doch dann kniete sie sich vor ihn, streichelte ihm über die Stirn und sagte: „Du bist so besonders, Louis.“ Louis. Nicht Leo. Und während er innerlich noch tobte, schmiegte sie sich an ihn, murmelte: „Ich glaub, ich verlieb mich grad ein bisschen.“ Leo stockte der Atem. Das war der Moment. Der eine. Der große. Der „Sie hat’s geschnallt“-Moment. Doch nein – sie verliebte sich nicht in ihn, sondern in den… in den kleinen, wuscheligen, viel zu oft quietschenden Minihund, den sie Louis nannte. Und das Schlimmste: Sie meinte es ernst. Er war hin- und hergerissen. Zwischen einem gewaltigen „Aber ich bin doch Leo!“ – und dem verfluchten Wunsch, dieses warme Gefühl in ihrer Stimme einfach zu genießen. Es war tröstlich. Und gefährlich. Denn je öfter sie ihn Louis nannte, desto weniger wollte ein Teil von ihm protestieren. Das machte ihm Angst. Denn wenn er nicht mehr protestierte – wer war er dann noch?


Du bist nicht Leo – und doch bist du es

Die Sonne fiel in Streifen durchs Fenster. Es roch nach Kaffee, frischer Luft und… Croissants. Frauchen frühstückte auf dem Sofa. Mit Teller auf dem Schoß und einem Lächeln, das verriet, dass dieser Moment für sie kostbar war. Vielleicht sogar heilig. Leo – also Louis – saß keine dreißig Zentimeter entfernt. Seine Nase zuckte. Da war Butter im Spiel. Und ein Hauch Aprikosenmarmelade. Eigentlich war das unter seiner Würde. Früher hatte er Croissants ignoriert. Meistens. Jetzt aber... seufzte er leise. Und rückte näher. „Na, du Schnorchel?“ Sie grinste. Brach ein winziges Stück vom Rand ab und hielt es ihm hin. „Du bist ja schlimmer als Leo.“

ZACK. Da war es wieder. Sein Name. Aus ihrem Mund. Wie ein Hauch Vergangenheit in Butterkrümelform. Er erstarrte. Schaute sie an. Ganz direkt. Und für einen winzigen Moment – da passierte etwas. Ihre Stirn legte sich in Falten. Ihre Augen wurden ganz ruhig. „Du schaust manchmal wirklich so wie er...“, murmelte sie. Leise. Und dann passierte das, was Leo den letzten Rest seiner Contenance kostete: Sie beugte sich vor, küsste ihm auf die Stirn und flüsterte: „Aber du bist du. Mein Louis.“




Er sprang auf. Machte einen Satz vom Sofa. Rennen half nicht. Aber es war besser als liegen zu bleiben und zuzugeben, dass es ihn getroffen hatte. Tief. Direkt in sein störrisches, altes Gos-Herz. Sie hatte Leo gespürt. Und ihn trotzdem Louis genannt. Es war wie ein kleiner Verrat. Und gleichzeitig… irgendwie fair. Leo stand im Flur. Atmete durch. Und zum ersten Mal – seit all dem – dachte er nicht: Ich muss zurück. Sondern: Vielleicht ist Louis auch jemand, den man mögen kann. Nicht statt Leo. Aber mit ihm. In ihm. Und dann trottete er zurück ins Wohnzimmer, sprang wieder aufs Sofa und rollte sich an Frauchens Seite ein. Ganz nah. Und als ihre Hand auf seinem Rücken landete, zuckte er nicht mehr zusammen. Er ließ es zu. Und es war – für diesen Moment – vollkommen okay.


„Und manchmal reicht ein Blick.“

Es war einer dieser Tage, die einfach vor sich hinplätschern. Kein Drama. Kein Regenbogen. Kein Aha-Moment. Nur Alltag. Frühstück, Spülmaschine, drei E-Mails, die mehr verlangen, als sie zurückgeben. Dann eine Runde mit Louis. Die kleine, über den Hügel. Nichts Besonderes. Und vielleicht genau deshalb passierte es da.

Er lief neben ihr. Nicht an der Leine. Aber auch nicht weit weg. Einfach da. Ohne Ziehen, ohne Zögern. Immer mal ein Blick zu ihr. Immer mal ein Stupser an ihr Bein, als wollte er sagen: „Ich bin noch da. Alles gut.“ Sie gingen nebeneinander, als wären sie es schon immer gewesen. Und dann blieb sie stehen. Einfach so. Nicht, weil Louis geschnuppert hätte. Nicht, weil sie jemandem begegneten. Sondern, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass sie genau jetzt etwas begriff. Oder besser gesagt: fühlte. Sie sah zu ihm hinunter. Und Louis hob den Kopf.



Da war kein Leo. Und doch war er da. Nicht greifbar. Nicht mit Beweisen belegbar. Nicht in einem „Ach guck, er legt die Ohren genauso an“ oder einem „So hat Leo früher auch geschnaubt“. Nein. Es war eher wie… ein alter Mantel, den man wieder anzieht. Und der irgendwie noch nach früher riecht. Nach  Zuhause. Nach sich selbst. „Du bist nicht Leo…“, flüsterte sie. Und Louis‘ Ohren zuckten. „Aber du bist in meinen Herzen genauso wie er.“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Legte seine Stirn an ihr Knie. Und sie wusste: Das war keine Geste, die man einem Welpen beibringt. Das war ein Wiederfinden. Sie hockte sich hin. Nahm sein Gesicht in beide Hände. Und sprach es zum ersten Mal laut aus: „Manchmal glaube ich, du bist er. Und manchmal denke ich, das wäre unfair dir gegenüber.“ Sie lachte leise.„Und dann gibt es Momente wie jetzt… da ist es egal. Weil ich euch beide liebe. Dich als Louis. Und ihn als… na ja. Als den, der er war.“

Louis blieb still. Er war nicht der Typ für große Reden. Und auch wenn in ihm gerade ein innerer Tango aus Hoffnung, Trotz und Rührung tobte – er legte nur den Kopf auf ihre Füße und schloss die Augen. Und Leo? Der irgendwo in diesem kleinen Körper noch mitmischte? Er atmete ein. Ganz tief. Und fühlte – ganz zum ersten Mal – dass es okay war. Dass es nicht bedeutete, vergessen zu werden, nur weil jemand Neues geliebt wurde. Sondern dass echte Liebe nicht geteilt wird. Sie wächst.

Später saßen sie zusammen auf dem Sofa. Louis schlief. Halb auf ihrem Schoß, halb auf der Decke. Und sie strich ihm über den Rücken. Immer wieder. Langsam. Dann sagte sie leise: „Wenn du Leo bist… dann danke, dass du zurückgekommen bist.“ Pause. „Und wenn du es nicht bist… danke, dass du da bist.“ Draußen ging die Sonne unter. Drinnen schlief ein Minihund. Und in einem Winkel ihres Herzens lag ein alter Gos. Nicht mehr zerrissen. Nicht mehr auf der Suche. Sondern angekommen. Einfach nur da. Und das reichte.

  • Share:

You Might Also Like

0 Kommentare

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Wir freuen uns immer riesig über Rückmeldungen.
Liebe Grüße
Bine & Gubacca