Zwischen Kurven, Kirchen und kleinen Wundern – Allein unterwegs im Allgäu
Als Herr Mini-Rütter am Montagnachmittag mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus nach Füssen gebracht wurde, blieb mir das Herz kurz stehen. Allein im Ferienhaus zu sitzen, während die Gedanken Achterbahn fahren, ist ein schreckliches Gefühl. Zum Glück hieß es bald: keine schlimmen Befunde, nur Vorsicht, Beobachtung, ein paar Untersuchungen. Angst wich Erleichterung – und einem neuen Problem: Ich musste jetzt noch am Abend nach Füssen fahren.
Ich und Autofahren in den Bergen, das ist normalerweise wie Öl und Wasser. Zu eng, zu steil, zu viele Serpentinen – und dann dieses ständige Schalten! Ich bin der klassische „Mach du das bitte“-Typ. Aber diesmal gab es kein „du“. Also atmete ich tief durch, setzte mich ans Steuer und fuhr los.
Die ersten Meter noch mit Puls bis hinter die Ohren. Jeder Gegenverkehr auf den engen Straßen ein kleiner Nervenzusammenbruch. Gubacca saß hinten, völlig unbeeindruckt, und blickte aus dem Fenster, als wollte er sagen: „Na, das wird ja was.“ Doch mit jeder Kurve wurde es besser. Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich tatsächlich Spaß hatte. Ich – der bekennende Angsthase – flitzte durch die Kurven wie eine Einheimische. Gut, vielleicht eine sehr vorsichtige Einheimische mit 60 km/h, aber immerhin.
Ausflug zum Forggensee
Da ich im Krankenhaus sowieso nichts tun konnte, beschloss ich am nächsten Vormittag, das Beste aus der Situation zu machen. Also schnappte ich Gubacca und fuhr – alleine! – zum Forggensee.
Geparkt habe ich in Rieden (Im Tal 22), auf einem Seitenstreifen-Parkplatz, wo die erste Stunde kostenlos ist. Ein Stück weiter unten liegt der eigentliche Parkplatz: Kennzeichen wird automatisch erfasst, bezahlt wird am Automaten (Münzen gehen – praktisch). Auch dort ist die erste Stunde gratis, danach kostet’s mindestens vier Euro – für die Gegend schon fast Luxusklasse.
Von dort führt ein schöner Spazierweg am See entlang Richtung Bootsanleger der Ausflugsschiffe. Der Weg ist stellenweise sehr schmal, aber am Wegrand gibt es fast immer kleine Buchten, in die man ausweichen kann – praktisch, um unnötiges Rüdengehabe auf beiden Seiten zu vermeiden. An den Badestellen und Stegen gilt Hundeverbot, dafür entschädigt der Blick auf Wasser und Berge. Selbst bei grauem Himmel hat der See etwas Beruhigendes.
Der Forggensee zog mich sofort in seinen Bann. Er ist kein altes Bergseejuwel, sondern ein Stausee – künstlich angelegt zwischen 1950 und 1954. Mit 15,2 Quadratkilometern Fläche ist er der größte Stausee Deutschlands, und trotzdem wirkt er, als läge er schon immer hier: türkisfarbenes Wasser, eingerahmt von Wiesen, Dörfern und Bergkulisse.
Von unserer Seite aus konnte man auf unserem Spaziergang sogar Schloss Neuschwanstein sehen. Die vielen Badebuchten, Stege und Bootsanleger zeigen, wie lebendig der See als Freizeitmagnet genutzt wird: Segler, Ruderer, Stand-up-Paddler – im Sommer ist hier alles unterwegs, was schwimmt oder schwimmen will.
Zwischen Wiesen und Wundern – die Wieskirche
Und weil ich nach der gelungenen Autofahrt dachte, ich sei jetzt quasi Bergprofi, wollte ich auf dem Rückweg noch schnell zur Wieskirche. Laut Schild nur „rechts abbiegen“ – klingt nach Katzensprung. Spoiler: war’s nicht. Statt zehn Minuten wurden es fast vierzig. Traue nie einem Schild ohne Kilometerangabe.
Die Wieskirche, offiziell Wallfahrtskirche zum gegeißelten Heiland auf der Wies, ist ein UNESCO-Welterbe und gilt als eine der schönsten Rokoko-Kirchen Europas. Erbaut wurde sie Mitte des 18. Jahrhunderts von den Brüdern Zimmermann – eine helle, lichtdurchflutete Kirche, die von außen schlicht, innen aber barock-leicht wirkt: Engel, Stuck, Pastellfarben, alles schwebt und glitzert, ohne aufdringlich zu sein.
Sie erzählte, dass diese kleine Kapelle schon stand, bevor die große Wieskirche gebaut wurde. Für die ersten Wallfahrer, meinte sie, sei das hier der Ort gewesen, um zur Ruhe zu kommen. „Mir ist sie lieber als die große. Da oben ist mir zu viel Prunk, hier unten ist einfach nur Frieden.“ Gubacca stand neben ihr, ließ sich kurz streicheln und schien genau zu wissen, dass das ein stiller Ort war.
Auf dem kleinen Altar lag ein schmales Buch, in das Besucher ihre Gedanken schreiben konnten. Daneben flackerten Kerzen – keine echten, sondern diese russfreien Varianten, die mehr glühen als brennen. Ich zündete trotzdem eine an. Für Herrn Mini-Rütter, für alles, was gerade durcheinandergeriet, und vielleicht auch einfach so.
Als wir gingen, schaute die Frau Gubacca nach. Kein trauriger Blick, eher ein stilles „Schön, dass sich unsere Wege gekreuzt haben“. Erst Tage später, als ich die traurige Nachricht von Lottchen bekam. dachte ich wieder an sie. Vielleicht war diese Begegnung kein Zufall. Eher eine kleine Erinnerung daran, dass alles, was wir lieben, auf irgendeine Weise weitergeht – in Geschichten, in Erinnerungen, manchmal auch einfach im Blick eines Hundes.
Draußen glitzerte die Sonne über die Wiesen, und Gubacca schüttelte sich, als würde er sagen: „Na los, Frauchen. Weiter.“ Und das taten wir dann auch.
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