Über den Wolken – Abschied und ein bisschen Frieden

Oktober 14, 2025

Der Tag der Partnachklamm war einer dieser rundum schönen Urlaubstage gewesen. Sonne, Bewegung, Staunen – alles passte. Ich war müde, zufrieden, voller Bilder im Kopf. Dass dieser Tag sich so einbrennen würde, lag dann aber leider nicht an der Klamm.



Als wir aus Garmisch zurückkamen, wollte ich den Tag einfach ausklingen lassen und machte noch eine kleine Runde mit Gubacca. Unterwegs fiel mir siedend heiß ein, dass ich meiner Mutter versprochen hatte, mich zu melden. Eigentlich wollte ich das gleich morgens tun – aber vor lauter Ausflugsfieber war es irgendwie untergegangen.

Ich saß auf einer Bank am kleinen Moorsee, um mich herum das Lachen spielender Kinder, das Platschen im Wasser, Gubacca döste neben mir. Alles leicht. Und dann hob ich das Handy ans Ohr. Am Tag zuvor hatte meine Mutter gesagt, sie wolle mit Lottchen zur Tierärztin gehen. Ich hatte noch versucht, sie zu beruhigen. „Ach, das wird schon, Lottchen frisst bestimmt morgen wieder.“ Jetzt fragte ich, wie es gelaufen sei. „Wir waren nicht …“, sagte sie. Und ich wusste sofort, irgendwas stimmt nicht. „Mutti, es ist doch was?“ Dann kam das Weinen. Und der Satz, der hängen blieb: „Wir mussten Lottchen einschläfern lassen.“




Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur dasaß. Um mich herum das helle Leben – Kinder, Stimmen, Sommer. Und in mir war plötzlich alles still. Ich wollte so schnell wie möglich zurück ins Ferienhaus, nur raus aus dieser Szenerie, die sich anfühlte, als gehöre ich nicht mehr hinein.

Die zweite Urlaubswoche war dann … seltsam. Das Wetter kippte. Als hätte jemand da oben beschlossen, dass jetzt Schluss mit Spätsommer ist. Einen Tag zuvor noch Sonne, T-Shirt, kurze Hose – und plötzlich Nieselregen, grau, kalt. Drastischer hätte der Wechsel nicht sein können. Und so war auch meine Stimmung. „Versuch, den Urlaub trotzdem zu genießen“, hatte eine Freundin gesagt. Nett gemeint, klar. Aber wie soll man das? Wir machten, was man eben macht. Fuhren hierhin, dorthin, gingen spazieren. Ich rief meine Eltern täglich an, versuchte zu trösten – und schob den Gedanken „Lottchen ist nicht mehr da“ ganz weit weg von mir.

Am letzten Tag fuhren wir noch einmal auf den Tegelberg. Ich wollte eigentlich gar nicht. In der ersten Woche waren wir schon oben gewesen, bei Sonne, blauem Himmel, Aussicht wie im Kalender. Diesmal grau, Nebel, nass. Ich war sicher, das wird so ein „Na ja, wir waren wenigstens draußen“-Tag.


Aber dann, mitten in der Fahrt, änderte sich alles. Erst sah man nur grau, dann gar nichts mehr. Und plötzlich – Licht. Ein kleiner Streifen, dann dieser strahlend blaue Himmel. Unter uns die Wolken, ruhig wie ein See. Ich war völlig sprachlos. In der Woche davor hatten wir bei Postkartenwetter oben gestanden, mit Sicht auf die Seen und das ganze Drumherum. Aber das hier war tausendmal schöner. Irgendwie echter.




Und ich dachte: Wie oft wartet man auf das perfekte Wetter, auf den richtigen Moment, statt einfach loszufahren. Das hier war der Beweis, dass gerade das Unerwartete die schönsten Augenblicke schenkt. Für einen Moment machte mir das Mut. Dass selbst nach dichtem Nebel wieder Sonne kommt. Dass das Leben manchmal einfach weiter leuchtet, auch wenn man unten gerade nichts davon sieht. Aber da war auch dieses andere Gefühl – das leise Ziehen im Magen, wenn man merkt, dass man sich freut, obwohl einem eigentlich nicht nach Freude ist.



Ich dachte an meine Eltern, an das leere Körbchen bei ihnen. Und an dieses Rastlose, das Trauer mit sich bringt – dieses ständige Kreisen um das, was man vielleicht anders hätte machen können. Ich hätte Lottchen öfter holen sollen. Mehr Zeit, mehr Nähe, mehr von allem. Ich hatte ihre Krankheit zu weit weggeschoben, als ließe sich das Unvermeidliche durch Nicht-Hinschauen aufhalten. Und dann merkt man, dass man nicht das Ende verpasst hat – sondern viele kleine Anfänge dazwischen.



Oben, über den Wolken, wurde mir klar, dass das wohl dazugehört. Dieses innere Fragen, dieses Kreisen. Vielleicht ist das gar kein Fehler, sondern einfach Liebe, die zu groß ist für einen Schlussstrich. Und irgendwie war genau das tröstlich.




Wir liefen noch weiter, zum „Ort der Ruhe“. Dort fand gerade eine kleine Andacht statt – zwei Trompeten, ein paar Worte. Kein Brimborium, einfach still. Später erfuhren wir, dass ein Ehepaar goldene Hochzeit feierte. Ich stand da, mit Sonne im Gesicht und einem Kloß im Hals, und dachte: Vielleicht ist das das, was man Frieden nennt. Nicht das große Loslassen. Eher dieses kleine „Ich bin noch hier. Und sie war’s auch.“




So endete also unser zweiter Allgäu-Urlaub. Der erste, zwei Jahre zuvor, war einer dieser Leicht-wie-Sommer-Urlaube, von denen man ewig erzählt. Diesmal war alles anders. Schwere statt Leichtigkeit, Nachdenken statt Euphorie. Und trotzdem – vielleicht war genau das der Unterschied: Der erste Urlaub hat uns gezeigt, wie schön das Leben sein kann. Der zweite, wie kostbar.

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