Der Tag der Partnachklamm war einer dieser rundum schönen Urlaubstage gewesen. Sonne, Bewegung, Staunen – alles passte. Ich war müde, zufrieden, voller Bilder im Kopf. Dass dieser Tag sich so einbrennen würde, lag dann aber leider nicht an der Klamm.
Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur dasaß. Um mich herum das helle Leben – Kinder, Stimmen, Sommer. Und in mir war plötzlich alles still. Ich wollte so schnell wie möglich zurück ins Ferienhaus, nur raus aus dieser Szenerie, die sich anfühlte, als gehöre ich nicht mehr hinein.
Die zweite Urlaubswoche war dann … seltsam. Das Wetter kippte. Als hätte jemand da oben beschlossen, dass jetzt Schluss mit Spätsommer ist. Einen Tag zuvor noch Sonne, T-Shirt, kurze Hose – und plötzlich Nieselregen, grau, kalt. Drastischer hätte der Wechsel nicht sein können. Und so war auch meine Stimmung. „Versuch, den Urlaub trotzdem zu genießen“, hatte eine Freundin gesagt. Nett gemeint, klar. Aber wie soll man das? Wir machten, was man eben macht. Fuhren hierhin, dorthin, gingen spazieren. Ich rief meine Eltern täglich an, versuchte zu trösten – und schob den Gedanken „Lottchen ist nicht mehr da“ ganz weit weg von mir.
Aber dann, mitten in der Fahrt, änderte sich alles. Erst sah man nur grau, dann gar nichts mehr. Und plötzlich – Licht. Ein kleiner Streifen, dann dieser strahlend blaue Himmel. Unter uns die Wolken, ruhig wie ein See. Ich war völlig sprachlos. In der Woche davor hatten wir bei Postkartenwetter oben gestanden, mit Sicht auf die Seen und das ganze Drumherum. Aber das hier war tausendmal schöner. Irgendwie echter.
Ich dachte an meine Eltern, an das leere Körbchen bei ihnen. Und an dieses Rastlose, das Trauer mit sich bringt – dieses ständige Kreisen um das, was man vielleicht anders hätte machen können. Ich hätte Lottchen öfter holen sollen. Mehr Zeit, mehr Nähe, mehr von allem. Ich hatte ihre Krankheit zu weit weggeschoben, als ließe sich das Unvermeidliche durch Nicht-Hinschauen aufhalten. Und dann merkt man, dass man nicht das Ende verpasst hat – sondern viele kleine Anfänge dazwischen.
Oben, über den Wolken, wurde mir klar, dass das wohl dazugehört. Dieses innere Fragen, dieses Kreisen. Vielleicht ist das gar kein Fehler, sondern einfach Liebe, die zu groß ist für einen Schlussstrich. Und irgendwie war genau das tröstlich.
Wir liefen noch weiter, zum „Ort der Ruhe“. Dort fand gerade eine kleine Andacht statt – zwei Trompeten, ein paar Worte. Kein Brimborium, einfach still. Später erfuhren wir, dass ein Ehepaar goldene Hochzeit feierte. Ich stand da, mit Sonne im Gesicht und einem Kloß im Hals, und dachte: Vielleicht ist das das, was man Frieden nennt. Nicht das große Loslassen. Eher dieses kleine „Ich bin noch hier. Und sie war’s auch.“
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