Kapitel 3: Wenn der Schalter kippt – plötzliche Ausraster und was dahintersteckt
April 29, 2025
Ich hatte es ja schon im ersten Kapitel beschrieben: Gubacca, entspannt auf der Seebrücke, ließ sich fotografieren wie ein Profi. Und dann, auf dem Rückweg – plötzlich: Ausraster. Anspringen, Ärmelbeißen, völliges Durchdrehen, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Was auf der Seebrücke passierte, war kein Einzelfall. Es war auch nicht das erste Mal, dass Gubacca diesen plötzlichen Wechsel zeigte – von friedlich zu furios, von gelassen zu komplett überfordert. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich realisierte: Ich habe keine Vorwarnung. Keinen Hinweis, keine Chance, mich oder ihn vorzubereiten.
Und genau das war das eigentlich Belastende: Nicht das Beißen, nicht das Anspringen – sondern die Unvorhersehbarkeit. Die Willkür, mit der aus einem scheinbar normalen Moment ein Ausnahmezustand wurde.
Wenn der Schalter einfach kippt
Anders als andere Hunde, die sich mit Knurren oder Vermeidung langsam aus Situationen herausziehen, scheint der Gos manchmal keine Zwischenstufen zu kennen.
Die Verhaltenskurve kennt nur zwei Zustände:
- Modus A: Ich bin ganz bei dir.
- Modus B: Ich bin raus – komplett.
Zwischen diesen Modi liegt kein allmählicher Anstieg, sondern ein Kipppunkt. Und der kommt oft ohne Vorwarnung. Was gestern noch ging, ist heute zu viel. Was eben noch funktionierte, kippt im nächsten Moment. Und genau das ist für mich typisch Gos – besonders in der Pubertät.
Warum der Gos oft anders reagiert als andere Rassen
Beim Gos kommt eine besondere Mischung zusammen:
- Er ist sehr reizoffen (wahrnehmungsstark),
- gleichzeitig hochgradig selbstständig (was die Impulskontrolle erschwert),
- und hat ein stark ausgeprägtes Revier- und Ressourcendenken.
Dazu kommt: Er hat kein fest einprogrammiertes Schema, wie z. B. ein Labrador, der bei Unsicherheit eher „nett“ wird. Der Gos entscheidet situativ. Und in der Pubertät, wo die Stressregulation noch nicht ausgereift ist, fällt diese Entscheidung gerne mal explosiv aus.
Der Spaziergang am Schloss
Ein Sonntag wie aus dem Bilderbuch: Menschen, Sonne, Hunde. Gubacca war bei mir, alles lief gut. Und dann – Modderloch. Er sprang rein wie ein glückliches Wildschwein – und kam als überdrehter Derwisch wieder raus. Von da an war nichts mehr normal. Anspringen, Ärmelbeißen, durchdrehen. Und es wurde nicht besser. Nicht nach zehn Minuten. Nicht auf dem Heimweg. Nicht mal zuhause Die Erregung hatte sich verselbstständigt. Und auch das ist für mich typisch Gos: Er braucht länger, um sich wieder zu regulieren – weil seine Reizverarbeitung anders funktioniert als bei vielen anderen Rassen.
Von 0 auf 300 – und nicht zurück
Auch Eskalationen zum Beispiel bei Hundebegegnungen haben mit der klassischen Leinenpöbelei oft wenig zu tun. Es geht nicht um Frust, weil er nicht zum Hund darf. Oder weil er nicht schnüffeln darf. Es geht um emotionale Überladung, die sich in körperlicher Aktion entlädt. Die Körpersprache wird dabei unlesbar. Es gibt keinen "Ich werd gleich drüber"-Blick. Keine Stresssignale. Nur einen mentalen Kurzschluss. Und das macht es für uns Menschen so schwer auszuhalten – weil es sich anfühlt wie eine Welle, die einen überrollt, ohne dass man sie kommen sah.
Das Auf und Ab
Ein weiteres Puzzlestück, das es so herausfordernd macht: Es gibt gute Tage. Und dann wieder solche. Die Pubertät verläuft nicht linear. Es ist keine ständige Verschlechterung, sondern eine Achterbahnfahrt: Heute souverän, morgen überfordert, übermorgen ein Engel.
Diese Unberechenbarkeit ist kräftezehrend. Und sie verunsichert.
Diese Unberechenbarkeit ist kräftezehrend. Und sie verunsichert.
- Bin ich schuld?
- Mache ich was falsch?
- Müsste ich härter sein? Geduldiger? Konsequenter?
Die ehrliche Antwort lautet oft: Nein. Du kannst alles richtig machen – und trotzdem kommt der Kippschalter.
Was hilft in diesen Situationen?
- Nachsorge statt Sofortlösung. Manchmal kann man im Moment selbst nichts tun – außer sicher rausgehen.
- Szenenanalyse statt Selbstvorwurf. Was war vorher? Welche Reize hatten sich aufgebaut?
- Akzeptanz der Wellenbewegung. Gute Tage kommen wieder. Aber auch schlechte. Und das ist normal – beim Gos sogar typisch.
- Kühlen Kopf behalten. Nicht jede Eskalation ist Ausdruck eines Trainingsfehlers. Manchmal ist es einfach Biochemie.
Wichtige Erkenntnis:
Man hat beim Gos oft nur ein winzig kleines Zeitfenster, in dem man ihn noch erreichen kann. Ist der Schalter erst einmal gekippt, hilft kein Locken, kein Schimpfen und kein „Durchsetzen“. Er kann dann schlicht nicht mehr auf uns reagieren. Besonders in Momenten, wo andere Menschen zuschauen, verspüren wir schnell den Druck, irgendetwas „machen“ zu müssen – möglichst sichtbar und überzeugend. Aber genau das verschärft die Situation nur.
Auch unsere eigene Energie hat einen riesigen Einfluss: Ein hektisches "Anleinen! Da kommt was!", ein schwungvolles "Und loooos!!!" – gerne noch mit ausladender Armbewegung – kann den ohnehin schon aufgedrehten Hund vollends aus dem Orbit schießen lassen.
Beim Gos gilt: Stehenbleiben. Atmen. Nichts pushen. Auch wenn es manchmal ewig dauert. Während bei anderen Hunden oft ein kurzes Entfernen reicht, um runterzukommen, braucht der Gos seine Zeit – manchmal Minuten. Gefühlte zehn Minuten, in denen man einfach dasteht und aushält
Geduld ist hier keine Tugend – sondern die einzige sinnvolle Strategie.
Zum Mitnehmen:
So schwer es manchmal ist – der Kippschalter ist nicht dein Versagen, sondern Teil seines Wesens. Je besser du ihn lesen lernst, desto leichter wird es. Und irgendwann, wenn du denkst, jetzt geht gleich alles hoch – schaut er dich vielleicht an, wartet auf dein lahmarschiges "ooookkkk..." und bleibt einfach bei dir.
Wie ich gelernt habe, diesen Moment zu erkennen und Gubacca zur Ruhe zu begleiten, darum geht’s im nächsten Kapitel.
Ein herzliches Dankeschön auch hier wieder an León, für die fachliche Unterstützung bei diesem Artikel :-).
2 Kommentare
Am besten sind in solchen Situationen noch Hundebesitzer,die nicht zügig vorbei gehen,sondern ihren Hund noch zum "spielen" mit dem rasenden Energiebündel motivieren.
AntwortenLöschenUnd wenn unser Teufelchen schon ab und an durchdreht....Auch andere haben kleine Ungeheuer🤣Schlosspark..kleiner Hund wird zum Kampfstier und ging auf Gubacca drauf.Und das arme Frauchen vom kleinen Kampfgeschoss hatte keine Chance da einzugreifen.Von daher...😉
Oha, an diesen Schlossparkbesuch denke ich ungerne zurück. Wobei das Mitleid mit der Besitzerin größer als der Ärger war. Danke für deine lieben Kommentar! Ich freue mich immer sehr darüber!
LöschenBussi Bine & Gubacca
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Wir freuen uns immer riesig über Rückmeldungen.
Liebe Grüße
Bine & Gubacca