Samstagmorgen. Strahlender Sonnenschein! Zum ersten Mal in diesem Urlaub. Und was macht mein Körper? Schlägt um 5.30 Uhr Alarm. Ich blinzele in dieses grelle, blendende, fast schon verdächtige Licht – kurz der Gedanke: Herr Mini-Rütter hat das Licht vergessen auszumachen. Aber nein: Es war wirklich Sonne. Also wieder unter die Decke gerollt, alles dunkel gemacht und beschlossen, einfach noch ein kleines bisschen weiterzuschlafen. Ergebnis: Komplett verschlafen - der Wecker stand auf 8.30 Uhr.
Und ja, ich finde, man kann auch im Urlaub verschlafen. Schließlich zählt jede Minute Sonne, wenn man sie tagelang mit der Lupe suchen musste. Also raus aus den Federn, rein in die Klamotten, rauf aufs Rad – denn heute wurde der Bäcker sportlich angefahren. Ich fühlte mich wie die Queen of Coastal Fitness, radelte fröhlich vorbei an all den Automenschen, schmunzelte still und rümpfte innerlich das Näschen – bis zur Steilkurve. Wer die Strecke zwischen Langholz und Klein-Waabs kennt, weiß: Diese Kurve ist kein Spaß. Runter geht’s wie von allein, aber hoch? Da trifft man nicht selten auf die dunkle Seite seines eigenen Ehrgeizes.
Der Wind knallt einem ins Gesicht wie eine feuchte Hand, die Waden brennen, und bei der Bäckerei angekommen, sehe ich eher aus wie ein leicht geplatzter Tomate als wie eine fitte Urlauberin. Mit Rückenwind ging’s zurück zum Ferienhaus – und nichts schmeckt besser als ein Brötchen nach einem kleinen Tritt in die Selbstüberschätzung. Danach wurde das Urlaubswochenendprogramm wie auf Speed durchgezogen: Herr Mini-Rütter fuhr alleine einkaufen (ganz edelmütig, aber mit verdecktem Motorsport-Hintergedanken wie ich später noch herausfand), ich machte mit Gubacca eine große Runde.
Der Plan: Danach zusammen gemütlich an den Strand. Ich ziehe mit Gubacca los – große Runde, lange Leine, Wiesen statt Wellen. Der Katalane ist empört. Seine Nase sucht vergeblich nach Algen, sein Blick sagt: „Wo ist mein Sand? Mein Meer? Mein Lifestyle?!“ Stattdessen: Kuhgeruch, Fliegen und eine fette Enttäuschung. Er bleibt alle fünfzig Meter stehen, seufzt tief, und wirft mir einen Blick zu, der irgendwo zwischen spanischer Dramaqueen und beleidigtem Leberwurstbrötchen pendelt.
Zurück im Ferienhaus dann: ein seltener Akt der Selbstlosigkeit. Herr Mini-Rütter lehnt sich betont entspannt auf dem Sofa zurück und sagt den Satz, den ich sonst nur in Ausnahmefällen zu hören bekomme: „Ich bleib heute nachmittag bei Gubacca. Geh du ruhig mal allein zum Strand.“ Ich starre ihn an. Kurz überlege ich, ob ich ihm Fieber messen sollte – oder gleich den Rettungsdienst rufe. Aber nein – er meint es ernst. Ein Moment der Rührung. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer. Endlich mal einfach nur liegen, Meeresrauschen, keine Pfoten, keine Kontrollblicke, kein „Was macht er da gerade?“ Ich bin schon fast auf dem Weg, da setzt er noch hinterher: „Das Rennen fängt eh gleich an.“ Aha. Da ist sie – die wahre Motivation hinter der Großherzigkeit. Der wahre Grund: Das Motorradrennen. Sein Edelmut hat einen 1A-Zeitstempel im Fernsehprogramm. Ich nicke verständnisvoll. „Na klar, du Held des Alltags.“ Und Gubacca? Der guckt mich an, als hätte ich ihn verraten. Sein Blick sagt: Allein gelassen. Abgeschoben. Fernseh-Kulisse statt Abenteuer. Dabei hätte er sich so auf Sand zwischen den Zehen und Möwen im Anflug gefreut. Jetzt liegt er beleidigt in seiner Box, die Schnauze demonstrativ in Richtung Tür gedreht.
Ich flüstere ihm zu: „Nächste Runde bist du wieder dran.“ Er blinzelt. Verachtet mich still. Und schaltet dann innerlich auf Durchzug. Ich ignoriere das stille Drama und packe meine Sachen: Stranddecke, Sonnencreme, Sonnenhut. Hochmotiviert mache ich mich auf den Weg. Die leichte Bewölkung am Himmel ignoriere ich mit dem Gedanken: Das verzieht sich wieder. Nach einer Stunde „Ich genieße mal alleine die Zeit am Strand“ marschiere ich leicht durchgefroren zurück ins Haus, ziehe mir wieder wärmere Kleidung an und beginne innerlich, diesen Urlaub neu zu bewerten.
Während ganz Deutschland über die Hitze stöhnte, saßen wir am späten Nachmittag im Nieselregen auf einer Bank am Strand. Und während der Regen leise vor sich hinplätscherte, dachte ich mir: Naja, wenigstens sind wir echte Ostsee-Urlauber. So mit Wind, Wetter und allem, was dazu gehört.
Sonntag. Einfach mal für alle was dabei
Der Tag begann wie aus dem Urlaubsbilderbuch. Angenehme Temperaturen, ein Hauch von Morgenfrische – perfekt für meine Lieblingsrunde mit Gubacca. Er trabte zufrieden neben mir her, die Rute leicht wedelnd, Nase im Wind. Ich atmete tief ein, schaute über die Felder Richtung Meer und dachte: „Ja. So fühlt sich Urlaub an. Endlich.“ Kein Drama, kein Ziehen an der Leine, kein beleidigter Blick. Nur wir zwei – unterwegs, ganz bei uns.
Zurück im Ferienhaus übernahm Herr Mini-Rütter wie schon gestern selbstlos den Part des fürsorglichen Familienoberhaupts. „Ich komm später nach“, verkündete er mit rührender Entschlossenheit – natürlich rein aus Rücksicht auf Gubacca. Der sollte ja nicht so lange allein sein. Dass parallel ein Motorradrennen lief? Ein tragischer Zufall. Den er – aus Liebe – heldenhaft in Kauf nahm. Urlaubsmanagement à la Mini-Rütter: einer geht mit dem Hund, einer geht mit Rossi.
Ich zog mit der Strandmuschel los. Mein Plan: liegen, lesen, nichts tun. Die Realität: steife Brise. Die Muschel entwickelte ein Eigenleben und verweigerte jegliche Kooperation. Zwei Stangen klappten nach innen, eine wehte fast ins Meer. Ich kämpfte heldenhaft, fluchte leise – und setzte schließlich auf mein ganz persönliches Gegengewicht: mich. Mit strategisch verteiltem Urlaubsgewicht und stoischer Ruhe stabilisierte ich das Teil von innen. Nicht schön, aber effektiv. Und siehe da: Ich lag. Endlich. Dass meine heißgeliebte Muschel – voller Erinnerungen – dabei kaputtging, bemerkte ich erst später. Ein stiller, trauriger Abschied. Viele Urlaube lagen wir gemeinsam im Wind.
Kaum war Herr Mini-Rütter am Strand angekommen, fing er sich auch schon an zu langweilen. Innerlich seufzte ich, dass das Rennen nicht doppelt so lang war. Ich kann stundenlang aufs Meer starren, ohne ein Wort zu sagen – er hingegen findet nach 30 Minuten meditativen Schweigens, es wäre nun wirklich genug kontempliert. Prompt kam die Frage: „Wann wolltest du eigentlich Tiramisu essen gehen?“ Eigentlich müsste ich mir ein dickeres Fell zulegen. Aber wie es eben so ist in einer Beziehung: Nach einer weiteren halben Stunde wurde auch ich unruhig. Und das seufzende Dauerrauschen neben mir ließ sich nicht länger ignorieren. Eine halbe Stunde später saßen wir mit unserem Tiramisu in der Sonne. Gut – der Wind hätte weniger enthusiastisch sein dürfen, und ich war heilfroh über mein langärmeliges T-Shirt. Aber trotzdem: Es fühlte sich ein kleines bisschen nach Italien an. Es fehlten nur noch die knatternden Vespa-Geräusche aus den Gassen.
Der Tag endete, wie er begonnen hatte – mit Gubacca. Fleecejacke übergeworfen, die Sonne stand schon tief, der Wind frischte auf. Während ganz Deutschland unter tropischen Nächten ächzte, stapfte ich im Juni (!) dick eingepackt Richtung Steilküste. Sommer an der Ostsee – immer für eine Überraschung gut.
Aber dann kam dieser Moment: meine Steilküste, mein Lieblingsblick, und endlich wieder diese magische Leere. Am Wochenende hatten sich noch die Ferienhausbesitzer um die besten Bankplätze gestritten – jetzt war der Strand fast menschenleer.
Zeit für mein kleines Ostsee-Abendritual. Und für Gubaccas großes Finale. Insgeheim hatte ich mir vorgenommen, ihn heute wieder ins Meer zu lassen. Die Kralle war gut verheilt, die Söckchen hatte ich vorsorglich eingepackt. Und als hätte er’s geahnt, verwandelte sich Gubacca in den vorbildlichsten Instagram-Hund Norddeutschlands.
Mal thronte er fotogen auf der Steilküstenbank, mal posierte er verträumt neben einem verlassenen Strandkorb. Alles für die Bine. Oder – vielleicht – für einen Tauchgang mit Söckchen? Ein Schelm, wer da Taktik vermutet.
Dann war’s soweit: Der "liebe" Gubacca tappte mit grauer Montur ins Wasser, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Tropfnass, überglücklich, komplett im Element. Ein Socken verabschiedete sich dabei wie zufällig in die Wellen – aber was soll’s: Einer von uns durfte heute nochmal richtig baden.
Ich stand am Rand, fröstelte leicht – und grinste. Gubaccas Sicht der Sache konnte ich mir nur zu gut vorstellen, wenn er hier zu Wort kommen würde...
Gubacca, leicht salzig, aber sehr zufrieden
Na also, ging doch. Hat ein bisschen gedauert, aber am Ende hab ich’s wieder geschafft. Bine glücklich. Ich im Wasser. Alle zufrieden. Dabei musste ich diesmal echt mein ganzes Repertoire auffahren: melancholischer Sonnenuntergangs-Blick? Check. Fotogen auf der Bank in dramatischer Gegenlicht-Position? Check.
Verträumter Blick in die Ferne, so à la „Bin tief in Gedanken“? Dreimal.Ich sag mal so: Wer nicht mit dem Hintern ins Meer darf, muss halt mit der Schnauze in die Kamera.
Und ja – diese Söckchen. Ich weiß. Sexy ist anders. Aber was tut man nicht alles, um das Ziel zu erreichen. Wobei – einer ist ja wie von selbst verschwunden. Ganz seltsam. Vielleicht war’s der Wind. Vielleicht die Strömung. Vielleicht ein sehr gezielter Pfotenschlenzer. Wer weiß das schon. Ich jedenfalls fühlte mich plötzlich… ganz sockenfrei. Und das war – Freiheit. Und dann stand sie da. In Fleece. Im Juni. Und grinste. Das ist so ein Blick, den mag ich. Der sagt: „Du hast wieder alles richtig gemacht.“ Hab ich ja auch. Ich bin Gubacca.