LEIKA. oder wenn die Welt plötzlich innehält

August 07, 2025

Manchmal sind es die kleinen Geschichten, die uns mitten ins Herz treffen. Die uns aus dem Alltag reißen und uns zeigen, wie schnell aus Fremden ein stilles Helferteam werden kann. Weil ein verängstigter Hund plötzlich etwas auslöst – Empathie, Fürsorge, Stille. Diese Geschichte hat mich noch tagelang beschäftigt.
Weil da dieser eine Moment war, in dem die Welt kurz stillzustehen schien – und es nur noch einen Hund und sein Herrchen gab.

Ein Hund, ein Mann – und viele Herzen

Es war einer dieser Sommertage, an denen sich das Wetter nicht entscheiden kann, ob es schön werden möchte, oder lieber doch nicht. Gubacca und ich waren gerade auf dem Rückweg von unserer Mittagsrunde, der Kopf war schon halb bei der nächsten To-do-Liste, als wir kurz vor unserem Wohnviertel auf die Bushaltestelle. zuliefen. Da stand ein Mann mit Hund. Mitten auf dem Gehweg.

Ich blieb kurz stehen, wie man das eben so macht – nicht nur, um höflich zu sein, sondern auch, weil ich eine gewisse Vorstellung davon habe, wie Gubacca auf enge Hundebegegnungen reagiert, wenn Leinen zu locker oder Schultern zu straff sind. Ich wollte dem Mann die Chance geben, seinen Hund zu sichern. Doch in dem Moment passierte es. Der Hund – eine Hündin, wie ich später erfuhr – schlüpfte aus dem Halsband. Und rannte los. Mitten auf die Kreuzung. Zögerte. Schaute nach links, nach rechts. Ein Bild, das ich nicht vergessen werde: Diese Hündin, allein auf der Straße – um sie herum Autos, die sofort stoppten. Nicht ruckartig. Sondern vorsichtig. Behutsam. Und dann: nichts. Keine Hupen. Kein Lärm. Keine Ungeduld.




Nur ein Mann, der leise „Leika…“ rief. Langsam ging er auf sie zu. Und dann setzte er sich hin. Einfach so. Mitten auf die Kreuzung. Bewegte sich nicht. Rief kein zweites Mal. Saß da – mit der Leine in der Hand und dem leer baumelnden Halsband – und wartete. Als hätte sich eine stille Übereinkunft gebildet: keine schnellen Bewegungen, keine Geräusche, keine Panik. Nur dieser eine Versuch, mit Ruhe mehr zu erreichen als mit allem anderen.

Und mitten in dieser leisen, angespannten Kulisse stand Gubacca. Er – der sonst bei „Warten“ gerne so tut, als hätte er das Wort noch nie gehört – stand einfach nur da. Still. Keine Spannung in der Leine, kein Zerren, kein Mucks. Als hätte auch er verstanden, dass jetzt etwas anderes zählte. Ich war ehrlich gesagt baff. Einige Autofahrer stiegen aus. Vorsichtig. Einer fragte leise, ob er helfen könne. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Solidarität ausgebreitet – still, selbstverständlich, nicht organisiert und gerade deswegen so berührend.

Leika lief schließlich panisch weiter, flüchtete ins Wohngebiet. Wieder hielten Autos an. Menschen stiegen aus. Versuchten mit Leckerlis, mit Worten, mit ausgestreckten Händen. Nichts half. Dann kam der Regen. Ein prasselnder Sommerregen – aber alle blieben. Klatschnass, aber hilfsbereit. Am Ende rannte Leika zurück Richtung Kreuzung und bog auf einen kleinen Pfad ab, der in die Felder führte. Und dann war sie weg.

Langsam löste sich das Helferteam auf. Man nickte sich zu. Eine Art wortloser Handschlag zwischen Fremden. Der Mann war am Boden zerstört. Und wie sich herausstellte: Es war nicht mal sein Hund. Er passte nur auf Leika auf – für eine Freundin. Ich verabschiedete mich. Gubacca und ich gingen nach Hause. Zumindest körperlich. Im Kopf war ich noch mittendrin auf dieser Kreuzung. Kaum war ich zuhause, packte mich das schlechte Gewissen. Oder besser gesagt: das Gefühl, dass da noch was ging. Also schnappte ich mir mein Fahrrad, ließ Gubacca zuhause und fuhr zurück zur Stelle, an der Leika verschwunden war.

Mittlerweile war der Mann nicht mehr allein. Freunde waren gekommen, und gemeinsam suchten wir weiter. Er sagte, er sei mit Leika denselben Feldweg entlanggelaufen, bevor sie entwischte. „Und wenn sie einfach nur zurückläuft?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf. „Glaub ich nicht.“ „Aber was, wenn doch? Wir tauschten Namen und Adressen – falls sie irgendwo auftaucht – und ich fuhr zurück. Eine knappe Stunde später klingelte es an der Tür. Draußen stand eine der Bekannten. Und sagte nur: „Sie war da. Sie hat vor der Tür gewartet.“

Leika hatte sich einfach ihren Weg zurück gesucht.Zu der Adresse, an der ihre Welt noch in Ordnung war. Manche Geschichten enden nicht laut. Aber sie bleiben – wie ein Abdruck mitten im Herzen.

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