Weihnachtsgeschichte: Eine schicksalhafte Begegnung

Dezember 20, 2018

Traurig lief ich durch die festlich beleuchtete Innenstadt unseres kleinen Städtchens. Nur mit großer Überwindung hatte ich es geschafft mir die Jacke und Schuhe anzuziehen und das Haus zu verlassen. Was sollte ich auch alleine auf dem Weihnachtsmarkt? Seit dem Tod von Maria, meiner Frau, fühlte ich mich sehr einsam. Fast 20 Jahre hatten wir alles zusammen gemacht und ohne sie war einfach alles trostlos für mich.

Mir fiel es schwer meine Tage mit Leben zu füllen und oft wünschte ich mir morgens einfach liegen bleiben zu können. 

„Du musst mehr unter Leute gehen“, sage ich mir immer wieder und konnte mich dann doch nicht dazu aufraffen. Heute hatte ich mir aber fest vorgenommen, in Maria' s Lieblings-Café einen Cappuccino zu trinken.



Schon beim Betreten des Cafés sah ich das es sehr voll war. Suchend blickte ich mich nach einen freien Tisch um und bemerkte eine kleine alte Dame mit silbernen Löckchen, die mir zuwinkte. „Bei mir ist noch ein Platz frei. Setzen Sie sich doch!“ „Oje“ dachte ich "nach Small-Talk war mir so überhaupt nicht zumute. Aber ohne unhöflich zu sein, konnte ich ihr Angebot nicht ablehnen und so setze ich mich zögernd zu ihr. Doch schon nach wenigen Minuten war ich in ein angenehmes Gespräch mit ihr vertieft. Die alte Dame war eine angenehme Zuhörerin und ohne es eigentlich zu wollen erzählte ich ihr von meiner Angst vor Weihnachten und wie einsam ich mich nach Marias Tod fühlte. Ich schilderte ihr die Reaktionen meines Bekanntenkreises - das ständige „Das wird schon wieder“ und „Du bist noch jung genug eine Frau kennenzulernen.“ Ich fühlte mich in solchen Augenblicken so unverstanden. Ich wollte keine neue Frau an meiner Seite, sondern einfach nur meine Tage wieder mit Leben füllen und nicht mehr so einsam sein.

„Ich glaube ich kann Ihnen helfen“, sagte die Dame zu mir und schaute mich mit ihren strahlend blauen Augen an, die so gar nicht zu dem faltigen Gesicht passten. „Ich kenne jemanden der genauso einsam ist wie sie und gerade jetzt, kurz vor Weihnachten, dringend einen Menschen benötigt! Bruno ist ein sehr enger und lieber Freund von mir. Ich bin leider nicht mehr da und wäre beruhigt, wenn ich wüsste er hätte jemanden an seiner Seite“, erzählte sie weiter. Normalerweise hätte ich so ein Angebot zwar höflich, aber bestimmt abgelehnt. Aber warum eigentlich nicht?, dachte ich. „Wo wohnt denn dieser Freund?“, fragte ich. "Vielleicht kann ich ja mal bei ihm vorbeischauen.“ Die alte Dame lächelte mich an. „Das würden Sie wirklich machen? Gleich?“ Ich zögerte. Aber warum eigentlich nicht? Es war 15 Uhr und was hatte ich heute noch vor? „Das mache ich!“, sagte ich der Dame. "Geben Sie mir die Adresse dann gehe ich bei Ihren Freund Bruno gleich vorbei!" Ein glückliches Strahlen ging über das Gesicht der alten Frau. 

Ich machte mich auf den Weg zur Leopoldstraße 8, die mir die alte Frau als Adresse genannt hatte. Das Haus machte einen verlassenen Eindruck und auf mein Klingeln öffnete niemand.

„Wollen Sie zu Simandas“, sprach mich eine Dame vom Nachbargrundstück aus an. Simanda? Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich ganz vergessen hatte, die alte Dame nach dem Familiennamen von Bruno zu fragen. „Ich suche Bruno“ versuchte ich mein Glück – vielleicht wusste die Nachbarin ja auch so wer gemeint ist. „Bruno?!“ Na endlich kümmert sich jemand um ihn, das konnte ja auch nicht so weiter gehen!“ Noch bevor ich nachfragen konnte, drehte sie sich um und ging in Richtung Terrassentür. „Einen Moment“ rief sie mir noch zu „ich hole Bruno“. Ratlos blieb ich an ihrer Gartentür stehen. Nach wenigen Minuten kam sie mit einem großen zotteligen Hund an ihrer Seite zurück.

„Wurde ja auch Zeit, dass der Hund endlich abgeholt wird. Ich habe der Polizei gleich gesagt, das kann nur eine Notlösung bei mir sein. Sie wissen ja, das städtische Tierheim ist total überfüllt und ich hatte Mitleid mit Bruno. Er trauert so schrecklich um sein plötzlich verstorbenes Frauchen. Drei Tage lag der arme Kerl neben ihr,bis sie von der Putzfrau gefunden wurde. Die arme Frau Simanda hatte ja keine Familie oder Angehörige, nur noch den Bruno, seit ihr Mann im letzten Winter verstorben ist. Aber ich selbst bin mit dem großen Hund überfordert.“ Schnell drückte mir die Frau die Leine in die Hand. 




Entsetzt schaute ich den riesigen Hund an. Was sollte ich jetzt nur machen? Was hatte die alte Frau im Café mit Frau Simanda zu tun? Warum hatte sie mich im Glauben gelassen, dass Bruno ein Mensch ist? Aber hatte sie das?! Hatte sie nicht nur gesagt „ein Freund“ von ihr? Unentschlossen stand ich vor der Nachbarin und suchte fieberhaft nach einer Ausrede warum ich Bruno nicht mitnehmen könnte. Der große Hund hatte die ganze Zeit still neben mir und der Frau gesessen und mich mit seinen braunen Augen beobachtet. Gerade als ich mit meiner Rede beginnen wollte, warum es unmöglich ist, mich um einen Hund zu kümmern, stupste mich der Riese an und leckte mir die Hand. „Das ist aber selten, dass Bruno auf einen fremden Menschen von sich aus zugeht. Normalerweise ist er allen gegenüber sehr schüchtern und zurückhaltend. Kennt er Sie?“, fragte mich die Nachbarin neugierig. Gerade als ich ansetzen wollte von der alte Dame im Café zu erzählen, stand Bruno auf. Er warf mir einen Blick zu und zog an der Leine. Dann ging er in Richtung Straße, als ob er sagen wollte „Komm, wir gehen jetzt endlich los…“ Und das machten wir dann auch.

Heute drei Monate später bin ich selbst noch überrascht über meinen spontanen Entschluss Bruno mitzunehmen. Die ersten Tage waren anstrengend. Wir mussten unseren gemeinsamen Rhythmus finden und uns erst gegenseitig kennenlernen... 

So hetzte auch ich kurz vor Heiligabend durch die Geschäfte. Aber nicht für Geschenke, sondern um einen Hundekorb, Fressnäpfe und Spielzeug für Bruno zu besorgen. Gut den Hundekorb hätte ich mir sparen können. Am liebsten liegt Bruno neben mir auf dem Sofa. Ein Hund im Bett, darüber hätte ich früher nur den Kopf geschüttelt. Heute tröstet es mich, wenn der große Zottel auf der anderen Seite des riesigen Doppelbettes schläft und leise schnarcht. Sogar an den Weihnachtstagen vor denen es mir so graute, hatte ich kaum Gelegenheit traurig zu sein. Ich hatte Heiligabend den großen Fehler gemacht, die Weihnachtsgans mit Bruno zu teilen. Die Folge war, dass der arme Kerl davon Durchfall bekam und wir im Stundentakt raus mussten. Heute kenne ich seine Lieblingsfuttersorten und weiß, dass er nur mageres Fleisch verträgt. Mit dem "Zottelbär" an meiner Seite fühle ich mich nicht mehr einsam und freue mich wieder jeden Morgen aufzustehen.


Bruno und ich haben viele feste gemeinsame Gewohnheiten und dazu gehört auch die tägliche Runde durch den Stadtpark. Wir sitzen dann immer eine Zeit lang auf unserer Lieblingsbanks beobachten die Enten. Heute sah ich schon vom weiten, dass die Bank besetzt war. Die silbernen Löckchen kenne ich doch, dachte ich, als mir die alte Dame schon zuwinkte. Bruno zog und zerrte für mich so unvermittelt an seiner Leine, dass ich sie fallen ließ und rannte zu der alten Dame. „Da bist du ja mein Freund“ begrüßte sie ihn und ein Strahlen ging über ihr Gesicht. „Du hast es gut getroffen wie ich sehe, mein Junge“. Bruno leckte der alten Dame begeistert über das Gesicht und sein ganzer Hundekörper bebte vor Freude. Endlich erreichte auch ich die Bank und setzte mich zu ihr. Bruno legte seinen Kopf mit einem lauten Seufzer auf ihren Schoß und schaute sie lange an.

„Warum haben Sie Bruno nicht selber bei sich aufgenommen. Man sieht doch wie sehr er sie mag?“, frage ich sie verwundert. „Dort wo ich jetzt bin konnte ich ihn nicht mitnehmen“ antwortete sie mir. „Er war ein ganz entzückender Welpe“, fing die alte Dame an zu erzählen. "Mein Mann hatte sich für ihn entschieden, weil er der größte und schwerste Rüde im Wurf war. Sie kennen ja die Männer. Aber ich verliebte ich mich in diese klugen und sanften braunen Augen.“ Dabei streichelte sie Bruno zärtlich über den Kopf und wir saßen einen Moment schweigend nebeneinander.


Bevor ich überhaupt dazu kam, eine Frage zu stellen, stand die alte Dame unvermittelt auf und küsste Bruno auf seine Hundenase. „Leb wohl mein Schatz – ich bin froh, dass du einen neuen Freund gefunden hast. Bruno schaute erst  zu ihr auf und schmiegte sich dann an sie. "Ihnen möchte ich von ganzen Herzen danken, dass Sie ihr Versprechen gehalten haben. Jetzt muss ich leider gehen.“

„Werden Bruno und ich Sie noch einmal wiedersehen?“, fragte ich sie. „Nein, leider nicht, aber jetzt wo ich weiß, dass es Bruno gut geht, fällt es mir leichter zu gehen.“ 

Traurig verabschiedete ich mich von der alten Dame. Bruno schaute der kleinen Gestalt lange nach. Doch dann er stand auf, schaute mich an und wedelte mit dem Schwanz, als ob er sagen wollte: „Komm mein Freund lass uns auch nach Hause gehen“. Das haben wir dann auch getan. Die alte Frau mit den silbernen Löckchen haben wir nie wiedergesehen, dabei hätte ich ihr so gerne noch einmal danke dafür gesagt, dass sie meinem Leben einen neuen Sinn gegeben hat, indem sie mir ihren Bruno anvertraute.

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